Leitsatz (amtlich)

1. Dass eine Leitlinie eine bestimmte medizinische Vorgehensweise (hier Verschluss eines Trokarzugangs durch Fasziennaht) empfiehlt, bedeutet nicht, dass es sich dabei auch um die Abbildung des zum Behandlungszeitpunkt gültigen fachärztlichen Standards handelt. Dies gilt insbesondere, wenn sich die Empfehlung bei einem erheblichen Teil der betroffenen Medizinerkreise nicht durchgesetzt hat.

2. Kann ein Patient zur Frage, ob er bei zutreffender Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, wegen seines Versterbens nicht mehr persönlich gehört werden, ist aufgrund einer umfassenden Würdigung aller Einzelfallumstände festzustellen, ob der Patient aus nachvollziehbaren Gründen in einen ernsthaften Entscheidungskonflikt geraten sein könnte (vgl. BGH, Urt. v. 17.4.2007, VI ZR 108/06). Davon ist nicht auszugehen, wenn angesichts einer akuten Blinddarmentzündung weder das Unterlassen der Blinddarmentfernung ernstlich in Betracht gekommen wäre, noch Umstände dafür sprechen, dass der Patient die wesentlich stärker einschneidende offene Operation bevorzugt hätte.

 

Normenkette

BGB §§ 280, 611, 823

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 25 O 388/13)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 25.5.2016 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 388/13 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die am 8.6.1940 geborene, deutlich übergewichtige Mutter des Klägers (im Folgenden: Patientin) wurde am 26.2.2010 mit rechtsseitigen Unterbauchschmerzen im Krankenhaus der Beklagten aufgenommen. Wegen einer perforierten Blinddarmentzündung erfolgte am gleichen Tag eine laparoskopische Appendektomie. Ein Verschluss der Trokaröffnungen ist im Operationsbericht nur für einen der drei Zugänge beschrieben. Am 4.3.2010 wurde die Patientin nach komplikationslosem postoperativen Verlauf entlassen.

Am 11.3.2010 klagte sie gegenüber den um 17.07 Uhr verständigten Rettungsassistenten über starke Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Der Blutdruck betrug 180/100 mmHg bei einer Herzfrequenz von 68/min. Gegen 17.30 Uhr wurde die Patientin in das Krankenhaus der Beklagten eingeliefert. Die zu diesem Zeitpunkt entnommene Blutprobe ergab einen Leukozytenwert von 5,8 /nl (Referenzbereich 4,0 - 10,0 /nl), einen CRP-Wert von 23,3 mg/dl (Referenzbereich bis 0,5 mg/dl) und einen Kreatinin-Wert von 2,2 mg/dl (Referenzbereich bis 1,3 mg/dl). Der Assistenzart Dr. A stellte bei der gegen 18.50 Uhr erfolgten Untersuchung einen Druckschmerz in allen vier Quadranten, aber keine Abwehrspannung fest. In der Anamnese heißt es, dass die Schmerzen seit dem Nachmittag zugenommen hätten. Eine Sonografie des Abdomens zeigte wenig freie Flüssigkeit im gesamten Unterbauch. Die um 19.05 Uhr gefertigte Röntgenaufnahme des Abdomens ergab nach dem schriftlichen Befund deutliche Faeceseneinlagerungen in der rechten Kolonhälfte, aber keinen Hinweis auf einen Ileus oder freie Luft. Unter der Verdachtsdiagnose Koprostase/Ileus ordnete Dr. A die stationäre Aufnahme, die Gabe einer Infusion mit Novalgin und Vomex und abführende Maßnahmen, etwa durch Clistier, an. In der Verlaufskurve der Station sind ein Blutdruck von 90/50 mmHg, eine Herzfrequenz von 100/Min und das Auftreten von Fieber (39°) dokumentiert. Der hinzu gerufene Oberarzt Dr. Schenk stellte wegen des Verdachts auf eine Entzündung und einen Abszess im Unterbauch die Indikation zu einer diagnostischen Laparoskopie und führte mit der Patientin ein entsprechendes Aufklärungsgespräch. Die Operation wurde ab 23.10 Uhr vorbereitet und am 12.3.2010 um 0.40 Uhr begonnen. Dabei zeigten sich eine in einem der Inzisionskanäle der Voroperation adhärente Dünnndarmschlinge, eine kotige Peritonitis und nach Umstieg auf eine Laparotomie eine Perforation des Dünndarms, die durch Resektion und Anlage einer Anastomose beseitigt wurde.

Die Patientin wurde auf die Intensivstation verlegt. Es entwickelte sich eine Sepsis. Am 14.3.2010 intubierten die behandelnden Ärzte die Patientin. Der nicht endgültig verschlossene Bauchraum wurde bei mehreren Folgeoperationen gespült. Nach einer vorübergehenden Verbesserung des Zustands erfolgte am 24.3.2010 die Extubation. Der Zustand der Patientin verschlechterte sich jedoch wieder. Am 26.3.2010 trat eine Reanimationspflichtigkeit ein, die zur erneuten Intubation führte. Am 30.3.2010 verstarb die Patientin an einer Sepsis und Multiorganversagen.

Die Staatsanwaltschaft Köln hat in dem von ihr eingeleiteten Ermittlungsverfahren 34 Js 157/10 ein rechtsmedizinisches Gutachten von Prof. Dr. B (Bl. 211 ff. der Beiakte) und ein chirurgisches G...

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