Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrsunfall; Haftung bei rückwärtigem Anfahren aus Parktasche
Leitsatz (amtlich)
Fährt jemand rückwärts aus einer Parktasche auf die Fahrbahn und kommt es dabei zu einer Kollision mit einem Fahrzeug, spricht eine tatsächliche Vermutung für eine Sorgfaltspflichtverletzung. Diese wiegt so schwer, dass dahinter die bloße Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Unfallgegners vollständig zurücktritt.
Normenkette
StVG §§ 7, 17; StVO §§ 9-10
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 21.12.2010; Aktenzeichen 36 O 71/10) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 21.12.2010 verkündete Urteil des Einzelrichters der 36. Zivilkammer des LG Köln - 36 O 71/10 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 1.617,02 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.2.2010 zzgl. außergerichtlicher Kosten i.H.v. 603,93 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.6.2010 zu zahlen.
Wegen der Zinsmehrforderung wird die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Beklagten zu 1) wird zurückgewiesen.
Die Kosten erster Instanz werden wie folgt verteilt:
Die Gerichtskosten tragen der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) zu 11 % als Gesamtschuldner, die Beklagten zu 1) und zu 2) zu 47 % als Gesamtschuldner und die Beklagte zu 1) zu weiteren 42 % allein.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die Beklagten zu 1) und zu 2) zu 47 % als Gesamtschuldner und die Beklagte zu 1) zu weiteren 42 % allein. Die außergerichtlichen Kosten der Widerbeklagten zu 2) trägt die Beklagte zu 1) zu 80 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) tragen der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) zu 11 % als Gesamtschuldner. Im Übrigen, insbesondere hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2), findet eine Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht statt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 18 % den Beklagten zu 1) und zu 2) als Gesamtschuldnern und zu weiteren 82 % der Beklagten zu 1) allein auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger und die Beklagte zu 1) verlangen im Wege von Klage und Widerklage Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 22.1.2010 in M. ereignete. Der Kläger befuhr mit seinem bei der Widerbeklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw W. die C.-straße. Die Beklagte zu 1) setzte mit ihrem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw N. rückwärts aus einer Parktasche auf die C.-straße, um in Fahrtrichtung des Klägers weiter zu fahren. Der Pkw des Klägers stieß mit der vorderen rechten Fahrzeugecke gegen die linke Seite des Hecks des Pkw der Beklagten zu 1).
Der Kläger hat behauptet, sein Fahrzeug habe sich bereits in unmittelbarer Nähe der Parktasche befunden, als die Beklagte zu 1) rückwärts aus dieser herausgefahren sei. Mit der Klage hat er einen der Höhe nach unstreitigen Sachschaden von 8.085,12 EUR zzgl. 603,93 EUR vorgerichtlicher Anwaltskosten ersetzt verlangt. Die Beklagte zu 1) hat behauptet, dass sich der Pkw des Klägers in einer Entfernung von 85 bis 100 m befunden habe, als sie rückwärts auf die C.-straße gefahren sei. Sie sei dann wegen einer rot zeigenden Ampel und eines Rückstaus langsam in die beabsichtigte Fahrtrichtung angefahren und sei gerade an der nun freien Parkbox vorbei gefahren gewesen, als es zum Zusammenstoß gekommen sei. Mit der Klage hat sie Ersatz des ihr unstreitig bereits entstandenen Schadens von 8.137,38 EUR, Feststellung der Ersatzpflicht und Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten von 775,64 EUR begehrt.
Das LG hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen V. T. und O. D., die Beifahrer in den am Unfall beteiligten Fahrzeugen waren. Daraufhin hat es eine Haftungsquote der Beklagten zu 1) von 80 % und des Klägers von 20 % zugrunde gelegt und unter Abweisung von Klage und Widerklage im Übrigen die Beklagten zur Zahlung von 6.468,10 EUR sowie den Kläger und die Widerbeklagte zu 2) zur Zahlung von 1.627,48 EUR verurteilt. Ferner hat es die Verpflichtung des Klägers und der Widerbeklagten zu 2) festgestellt, 20 % des Weiteren Schadens der Beklagten zu 1) zu erstatten. Da der genaue Unfallhergang aufgrund widersprüchlicher Zeugenaussagen und mangels ausreichender Anknüpfungstatsachen für ein Gutachten nicht aufzuklären sei, sei von einem Verstoß der Beklagten zu 1) gegen die erhöhte Sorgfaltspflicht beim Einfahren auf die Fahrbahn auszugehen. Ansprüche auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten bestünden nicht, da kein Verzug vorgelegen habe.
Mit ihren Berufungen verfolgen die Beklagte zu 1) und der Kläger ihre Widerklage- und Klageantrage insoweit weiter, als sie vom LG abgewiesen worden sind. Die Verurteilungen auf Klage und Widerklage sind dagegen nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Die Beklagte zu 1) rügt die Beweiswürdigung des LG. Der Aussage des Zeugen D. habe der Vorrang gebührt, weil die Bekundungen der...