Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen in der Schlussphase der Geburt von einem beachtlichen Wunsch der Schwangeren nach einem Wahlkaiserschnitt ausgegangen werden kann.

 

Verfahrensgang

LG Aachen (Aktenzeichen 11 O 43/21)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 16.08.2023 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 43/21 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der am 05.04.2019 im Haus der Beklagten zu 1) geborene Kläger nimmt die Beklagten wegen behaupteter Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Rahmen seiner Entbindung auf Schadensersatz und Feststellung der künftigen Haftung in Anspruch.

Im Januar 2018 wurde die ältere Schwester des Klägers im Haus der Beklagten zu 1) geboren. Die Geburt wurde mit dem Medikament Cytotec, welches den Wirkstoff Misoprostol enthält, eingeleitet und von der Mutter als traumatisch erlebt. Es traten Sturmwehen auf, es musste ein Beruhigungsmittel verabreicht werden. Die Entbindung erfolgte schließlich vaginal unter Einsatz einer Saugglocke.

Die Mutter des Klägers stellte sich am 08.02.2019 im Haus der Beklagten zu 1) zur Geburtsplanung vor (vergleiche Arztbrief, Anlage zur Klageschrift Bl. I 18 der Akte). Im Arztbrief ist festgehalten: "Die Patientin wünscht die Anstrebung des Spontanpartus. Nach der heutigen Untersuchung besteht aktuell keine Indikation für eine Sectio caesarea. Wir empfehlen jedoch die Einleitung ab 39 + 4 aufgrund des bestehenden iGDM." Am 03.04.2019 gegen 10:30 Uhr stellte sich die Mutter des Klägers bei der Beklagten zu 1) mit Überweisung der Gynäkologin zur elektiven Geburtseinleitung und stationären Aufnahme vor. Auf dem Überweisungsschein der Gynäkologin Dr. V. ist verzeichnet: "Übertragung; GDM; Vorstellung, eventuell Einleitung; SSW 40" (Bl. I 425). Die Mutter des Klägers wurde untersucht und es wurde ihr ein Aufklärungsbogen über die Geburtseinleitung übergeben. Das Geburtsgewicht des Klägers wurde mit ca. 3.800 g geschätzt. Die Geburtseinleitung erfolgte durch Gabe des Medikaments Cytotec. Nach der vierten Gabe des Wirkstoffes Misoprostol meldete sich die Mutter des Klägers am 04.04.2019 um 21:00 Uhr mit zunehmender Wehentätigkeit. Ab 1:10 Uhr am 05.04.2019 wurde die Mutter des Klägers zum aktiven Mitpressen angeleitet. Das CTG des Klägers war normwertig.

Der Kopf des Klägers wurde um 1:15 Uhr geboren, es zeigte sich dabei das sogenannte Turtle-Phänomen, aus dem sich ein Verdacht auf Schulterdystokie ergab. Die Mutter des Klägers wurde für das McRoberts-Manöver umgelagert. Eine direkte Manipulation an der Schulter oder dem Arm des Klägers erfolgte nicht. Nach dreimaliger Ausführung des MacRoberts-Manövers und aktivem Mitpressen der Kindesmutter wurde der Kläger um 1:17 Uhr in Anwesenheit der Beklagten zu 3), der Hebamme Q. Z. sowie der Mutter der Kindesmutter, der Zeugin G. J. geboren.

Der Kläger war unmittelbar nach der Geburt relativ deprimiert und am ganzen Körper dunkelblau gefärbt. Der Kopf und der übrige Körper waren stark angeschwollen. Der Kläger schrie nicht und machte einen apathischen Eindruck. Der Kläger wog 4.130 g bei einer Körpergröße von 56 cm. Die Apgar-Werte sind mit 6/6/8 dokumentiert. Der Kläger wurde unmittelbar im Anschluss an die Geburt von Ärzten der Kinderklinik versorgt und wegen einer respiratorischen Anpassungsstörung in die Neonatologie verlegt. Es wurden eine Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Armes und eine Zwerchfellparese rechts festgestellt. Die Einschränkung der Beweglichkeit der rechten Schulter besserte sich rasch und ist inzwischen beseitigt. Der Kläger musste zunächst mit einer Sonde ernährt werden, da er zu schwach zum Trinken war. Er wurde insgesamt nahezu vier Wochen mit einer kurzen Unterbrechung auf der Kinderintensivstation behandelt, wo er mit CPAP beatmet wurde und eine Atemtherapie erhielt, die er auch weiterhin benötigt.

Der Kläger hat den Beklagten erstinstanzlich vorgeworfen, die für die Beklagte zu 1) tätigen Behandler hätten eine natürliche Geburt durchgeführt, obwohl sie aufgrund der vorhergehenden schwierigen Geburt der Schwester einen Kaiserschnitt hätten vornehmen müssen. Dies habe die Mutter des Klägers bereits vor der Aufnahme bei der Beklagten mitgeteilt, da ihre Frauenärztin ihr dies aufgrund des von ihr ermittelten Geburtsgewichtes geraten habe. Das Personal der Beklagten zu 1) habe die Anregung der Frauenärztin jedoch zurückgewiesen. Beim Aufnahmegespräch habe die Mutter des Klägers mit einer Hebamme über ihre Erlebnisse bei der Geburt der Tochter gesprochen und erneut gefragt, ob nicht besser ein Kaiserschnitt durchz...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?