Entscheidungsstichwort (Thema)

Gefäßverletzung bei dringlicher Wirbelsäulen-Operation; Aufklärung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es ist nicht behandlungsfehlerhaft, eine Bandscheibenoperation, die wegen einer Fußheberparese dringlich (aber nicht notfallmäßig) indiziert ist, auf den nächstfolgenden Tag zu verschieben. Es unterliegt ärztlicher Abwägung, ob eine dringliche Operation besser früher, aber zu einer grundsätzlich ungünstigen (Nacht-)Zeit, oder etwas später, zu einer günstigere Bedingungen gewährleistenden Zeit, durchgeführt wird.

2. Eine Verletzung der Arteria communis iliaca im Rahmen einer Bandscheibenoperation lässt nicht den Schluss auf ein behandlungsfehlerhaftes intraoperatives Vorgehen zu.

3. Das Risiko einer - sehr selten auftretenden, aber möglicherweise zu sehr schwerwiegenden Folgen führenden - Verletzung der Arteria communis iliaca stellt einen Umstand dar, auf den gezielt hinzuweisen ist. Der allgemeine Hinweis auf Blutungen oder Hämatome genügt insoweit nicht.

4. Zur Frage der Darlegung eines plausiblen Entscheidungskonfliktes bei einer dringlichen Bandscheibenoperation.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 280, 611, 823

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 16.01.2013; Aktenzeichen 25 O 153/11)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 16.1.2013 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 153/11 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Bei der am 0.0.1958 geborenen, stark übergewichtigen Klägerin traten Anfang Oktober 2009 Rückenschmerzen auf, die ins rechte Bein ausstrahlten und zunächst konservativ behandelt wurden. Am 15.10.2009 kam es zu einer deutlichen Verschlechterung mit Fußheberschwäche rechts. Der Orthopäde Dr. D wies die Klägerin am 16.10.2009 wegen Verdachts eines Bandscheibenvorfalls ins Klinikum der Beklagten zu 1) ein.

Die gegen 14.30 Uhr durchgeführte Aufnahmeuntersuchung zeigte eine Fußheberschwäche rechts mit Kraftgrad 3/5 und ein Taubheitsgefühl im rechten Bein im Dermatom L5. Eine Magnetresonanztomografie der Lendenwirbelsäule ergab einen großen Bandscheinbenvorfall L 4/5. Gegen 16.15 Uhr nahm der Beklagte zu 3) die Operationsaufklärung vor, bei der er als Komplikationen u.a. "Blutung und Hämatom" anführte. Um 17.30 Uhr waren die Vorbereitungen für die ursprünglich am gleichen Tag geplante Operation abgeschlossen. Um 23.30 Uhr wurde die Klägerin informiert, dass sie erst am folgenden Morgen operiert werden würde.

Am 17.10.2009 führte der Beklagte zu 2) ab 10.00 Uhr eine Sequestrektomie und Nukleotomie L 4/5 durch, die aus Sicht des Operateurs komplikationslos verlief. Im Aufwachraum kam es allerdings zu einer Kreislaufdestabilisation. Eine umgehend durchgeführte Computertomografie des Abdomens zeigte eine große Blutansammlung in der Bauchhöhle und eine Verletzung der A. iliaca communis links, die in Höhe L 4/5 vor der Lendenwirbelsäule verläuft. Im Rahmen einer Angiografie, die die Diagnose bestätigte, wurde ein Stent eingesetzt, wodurch die Blutung zum Stillstand kam. Die Klägerin erhielt in diesem Zeitraum insgesamt 20 Blutkonserven. Nach einer Stabilisierungszeit von drei Stunden auf der Intensivstation räumten die Ärzte das retroperitoneale Hämatom in einer offenen Operation aus. Während der Kraftgrad des rechten Beins nach der Operation regelgerecht 5/5 betrug, zeigten sich links - bedingt durch eine Schädigung eines Nervengeflechts durch das Hämatom - eine Hüftbeugeschwäche (bei Entlassung 3/5) und eine Kniebeugeschwäche (bei Entlassung 4/5). Am 2.11.2009 wurde die Klägerin entlassen. Im Februar 2010 musste sie sich einer Hernienoperation im St. I-Krankenhaus in L unterziehen.

Die Klägerin hat gestützt auf die Begutachtung von Prof. Dr. T (Anlagen K 1 und K 2, im Anlagenheft) geltend gemacht, dass die Verschiebung des als Notoperation anzusehenden Eingriffs auf den nächsten Tag einen Behandlungsfehler dargestellt habe und dass die Verletzung der A. communis iliaca links auf einem sorgfaltswidrigen Vorgehen beruhe. Sie sei weder darüber unterrichtet worden, dass eine Notfallindikation vorgelegen habe, noch habe sie der Beklagte zu 3) über das Risiko einer Verletzung eines Stammgefäßes aufgeklärt. Sie leide unter Schmerzen im linken Unterbauch, Taubheitsgefühlen im linken Oberschenkel, Schmerzen im Rücken und rechten Bein und einer Kraftschwäche des rechten Fußhebers. Sie könne nur noch kleine Strecken mit Hilfe von Gehstöcken oder eines Rollators zurücklegen. Die Ausübung ihres Berufs als Bäckereifachverkäuferin sei ihr nicht mehr möglich. Wegen des eingeklagten materiellen Schadens von 53.300 EUR (Verdienstausfall, Pflegemehrbedarf, Haushaltsführungsschaden, so...

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