Entscheidungsstichwort (Thema)
Deliktische Haftung des Fahrzeugherstellers im Rahmen des "Diesel-Abgasskandals"
Leitsatz (amtlich)
1. Das Inverkehrbringen eines mit einer Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs (VW EOS Cabrio, 2.0 TDI) stellt eine sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB dar. Der Hersteller des Motors eines vom sog. Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs haftet daher gegenüber dem Erwerber eines Gebrauchtwagens aus § 826 BGB.
2. Diese sittenwidrige Schädigung ist dem Hersteller auch gem. § 31 BGB zuzurechnen. Den Hersteller trifft in den Diesel-Abgasskandals-Fällen eine sekundäre Darlegungslast. Allein das Bestreiten einer Kenntnis von der Manipulation bei den entscheidenden Organen reicht nicht aus.
3. Deliktszinsen nach § 849 BGB stehen dem Käufer, der ein vom Dieselabgasskandal betroffenes Fahrzeug gekauft und genutzt hat, regelmäßig nicht zu.
Verfahrensgang
LG Aachen (Aktenzeichen 12 O 502/18) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 11.06.2019 - 12 O 502/18 - wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird unter deren Zurückweisung im Übrigen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 11.06.2019 - 12 O 502/18 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.583,38 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.12.2018 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Eos, FIN: WVWZZZ1FZCV017895.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1) genannten PKW seit dem 15.12.2018 in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.680,28 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.12.2018 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die in erster Instanz angefallenen Kosten tragen der Kläger zu 12 % und die Beklagte zu 88 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 19 % und die Beklagte zu 81 %.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte im Zuge des Dieselskandals als Herstellerin des von ihm erworbenen PKW VW Eos auf Schadenersatz einschließlich einer Verzinsung des Kaufpreises sowie auf Feststellung des Annahmeverzuges und auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch.
Der Kläger erwarb von privat am 26.08.2016 ein Gebrauchtfahrzeug der Marke VW EOS Cabrio, 2.0 TDI mit 140 PS mit einem Kilometerstand bei Auslieferung von 48.030 km zu einem Kaufpreis von 18.400,- EUR (K 1 Anlagenheft). Darin eingebaut war ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor des Typs EA 189, der über eine Software verfügte, die die Stickstoff-Emissionswerte im behördlichen Prüfverfahren optimiert. Das Motorsteuerungsgerät ermöglicht dabei zwei Betriebsmodi bei der Abgasrückführung, einen Stickstoff-optimierten Modus 1 mit einer relativ hohen Abgasrückführungsrate und einen Partikel-optimierten-Modus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer ist. Die Software des Motorsteuerungsgerätes verfügt über eine Fahrzykluserkennung, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im üblichen Straßenverkehr oder auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte befindet. Während des Prüfstandtests spielt die eingebaute Software beim Stickstoff-Ausstoß das Motorprogramm Modus 1 ab, so dass hierdurch geringere Stickoxidwerte (im Folgenden: NOx) erzielt und die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte wie auch die nach der Euro-5-Abgasnorm vorgegebenen NOx-Grenzwerte eingehalten werden. Unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr wird das Fahrzeug hingegen im Abgasrückführungs-Modus 0 betrieben.
Nach Bekanntwerden des Einsatzes des in der Öffentlichkeit als Manipulationssoftware bezeichneten Motorsteuerungsprogrammes in verschiedenen Diesel-Fahrzeugen verschiedener Herstellerfirmen, u.a. der Beklagten, legte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den Herstellerkonzernen im Herbst 2015 auf, die entsprechende Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen. Das KBA gab in der Folgezeit nach Prüfung des vorgelegten Maßnahmenplans zeitlich gestaffelt die auf den jeweiligen Fahrzeugtyp abgestimmten Software-Updates frei. Der Kläger wurde nach Genehmigung durch das KBA über das Bereitstehen der Software-Lösung informiert und ließ die...