Entscheidungsstichwort (Thema)

Embolisation der blutversorgenden Gefäße eines gutartigen Hirntumors

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Embolisation der blutversorgenden Gefäße eines gutartigen Hirntumors ist indiziert (und damit kein Behandlungsfehler anzunehmen), wenn das Gesamtrisiko aus Tumorentfernung und Embolisation unter dem Risiko einer Tumorentfernung ohne vorausgegangene Embolisation liegt, und sich die Blutversorgung des Tumors für die Embolisation eignet, also ein erheblicher Teil der Gefäße verschlossen werden kann.

2. Zu den Anforderungen an die Risikoaufklärung für eine Angiographie, eine Testokklusion und eine Embolisation bei einem großen gutartigen Hirntumor, dessen operative Entfernung zwar dringend, aber nicht notfallmäßig indiziert ist.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 280, 611, 823

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 28.10.2015; Aktenzeichen 25 O 85/11)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 28.10.2015 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 85/11- wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die am 11.6.1946 geborene Klägerin litt seit Sommer 2007 an Kopfschmerzen. Darüber hinaus traten Konzentrationsschwierigkeiten, Orientierungsstörungen und Sehstörungen auf. Eine am 9.10.2007 durch den Radiologen Dr. T durchgeführte Computertomografie ergab den Verdacht auf ein sehr großes Meningeom rechts fronto-basal. Am 10.10.2007 wurde die Klägerin in der Klinik für Neurochirurgie der Beklagten zu 1) aufgenommen, wo eine Magnetresonanztomografie, eine hals-nasen-ohren-ärztliche und eine augenärztliche Untersuchung und eine weitere Computertomografie erfolgten. Am 18.10.2007 führte die Klägerin mit dem Beklagten zu 4) ein Aufklärungsgespräch, bei dem ihre Tochter O zugegegen war. Sie unterzeichnete eine Einverständniserklärung für eine cerebrale intraarterielle Angiografie und Embolisation. In der in Kopie vorgelegten Urkunde sind als Risiken insbesondere Blutung, Hämatom, Notoperation, Schlaganfall, Sprachverlust, Halbseitenlähmung, Pflegebedürftigkeit und Tod eingetragen.

Nach dem Inhalt des Operationsberichts führten die Beklagten zu 4) bis 6) am 19.10.2007 ab 10.44 Uhr eine Testokklusion der A. carotis interna rechts, eine Angiografie und über die A. Carotis externa und A. meningia media eine Embolisation der den Tumor versorgenden Gefäße durch. Dabei brachten sie über den Katheter Partikel in einer Größe von 100 bis 300 Mikrometer ein. Die durchgeführten Kontrollen zeigten einen Austritt von Kontrastmitteln aus einem zentralen Tumorgefäß und eine Einblutung in den Tumor, die durch den Einsatz von Gewebekleber gestillt werden konnte. Eine um 11.31 Uhr gefertigte Computertomografie wies Blut im Subarachnoidalraum nach. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt bei erweiterter rechtsseitiger Pupille wach und bei Bewusstsein. Sie wurde auf die neurochirurgische Intensivstation verbracht, wo es ab 12.45 Uhr zu einer zunehmenden Eintrübung kam. Die Klägerin wurde intubiert. Nach der Durchführung einer weiteren Computertomografie um 14.15 Uhr nahm der Beklagte zu 3) ab 14.25 Uhr eine Exstirpation des Tumors und eine Entlastungstrepanation vor.

Histologisch ergab sich ein nicht malignes Meningeom WHO Grad I. Die nach der Operation durchgeführte bildgebende Diagnostik zeigte Teilinfarkte der A. cerebri media und posterior rechts. Am 15.11.2007 wurde die Klägerin in das St. N-Hospital in L verlegt. Vom 5.12.2007 bis 28.3.2008 erfolgte eine Rehabilitationsbehandlung. Der Knochendeckel wurde am 3.7.2008 im Klinikum der Beklagten zu 1) reimplantiert. Die linke Körperseite der Klägerin ist gelähmt.

Die Klägerin hat die Beklagten auf ein Schmerzensgeld von mindestens 500.000 EUR, auf Zahlung von 223.609 EUR an Pflegemehrbedarf, Haushaltsführungsschaden und sonstigen materiellen Schäden sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht in Anspruch genommen. Dabei hat sie sich auf eine Stellungnahme von Prof. Dr. C (Anlage K 1b), ein neuroradiologisches Gutachten von Dr. T2 (Anlage K 1a) nebst vier Ergänzungen (SH I unter 6, SH I unter 7, Bl. 284 ff. d. A, SH I unter 8) und ein neurochirgisches Gutachten von Prof. Dr. N2 (SH I unter 8) gestützt. Sie hat geltend gemacht, dass die Embolisation der tumorversorgenden Gefäße nicht indiziert gewesen sei. Der Eingriff sei nicht durch die Beklagten zu 4) bis 6), sondern durch den Beklagten zu 2) durchgeführt worden, was dieser gegenüber dem mittlerweile verstorbenen Ehemann der Klägerin und deren Schwester E bestätigt habe. Dem Beklagten zu 2), der unstreitig in der Klinik für Neurochirurgie als Assistenzarzt tätig war, habe die erforderliche Qualifikation gefe...

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