Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Aufhebung des Eheverbundes trotz sehr langer Verfahrensdauer
Leitsatz (amtlich)
Grundsätzlich hat gem. §§ 623 Abs. 1 Satz 1, 629 Abs. 1 ZPO eine einheitliche Entscheidung über das Scheidungsbegehren und die Folgesachen zu ergehen. Nur wenn bei gleichzeitiger Entscheidung über die Folgesachen der Scheidungsausspruch so außergewöhnlich verzögert würde, dass der Aufschub auch unter Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache eine unzumutbare Härte darstellen würde, wobei eine lange Verfahrensdauer allein in aller Regel nicht ausreicht, kann das Gericht einem Scheidungsantrag vor eine Entscheidung über eine Folgesachen stattgegeben (§ 628 Satz 1 Nr. 4 ZPO).
Unzumutbar ist eine Härte nur, wenn das Interesse des Antragstellers an einer alsbaldigen Scheidung vorrangig vor dem Interesse ist, dass der andere Ehegatte daran hat, dass gleichzeitig mit der Scheidung über die Folgesachen entschieden wird (vgl. u.a. Zöller/Philippi, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 628 Rz. 6 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Auf Seiten des Ehegatten, der der Scheidung unter Abtrennung der Folgesachen widerspricht, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob er sich nach der Trennung einen eigenen Lebensmittelpunkt geschaffen hat. Je wichtiger eine Folgesache für die aktuelle Lebenssituation des widersprechenden Ehegatten ist, desto strenger sind die Voraussetzungen für die Abtrennung. Dem Verbundgedanken entspricht es, das Interesse des wirtschaftlich schwächeren Ehegatten an Sicherung hoch zu bewerten (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 628 Rz. 8 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
Nach der auf den Einzelfall abzustellenden gebotenen Interessenabwägung kann vorliegend eine unzumutbare Härte des Aufschubs der Scheidung für den Antragsgegner trotz einer sehr langen Verfahrensdauer ausnahmsweise nicht angenommen werden, obwohl durchaus ein berechtigtes Interesse des Antragsgegners dahin erkennbar ist, gesellschaftlich die Gründung seiner neuen Familie durch die Eheschließung mit seiner langjährigen Lebensgefährtin zu dokumentieren und die Mutter seiner weiteren Kinder sozial abzusichern, weil entsprechend dem sozialen Schutzgedanken des Scheidungsverbundes das Interesse der Antragsgegnerin an einer einheitlichen Entscheidung über die Ehescheidung und die Folgesachen nachehelicher Unterhalt und Zugewinnausgleich überwiegt und auch nicht erkennbar ist, dass die Folgesache Zugewinnausgleich, die noch nicht entscheidungsreif ist, einseitig durch die Antragsgegnerin verzögert worden ist.
Normenkette
ZPO § 623 Abs. 1 S. 1, § 628 S. 1 Nr. 4, § 629 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Brühl (Urteil vom 29.05.2008; Aktenzeichen 35 F 199/99) |
Tenor
Unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel der Parteien wird auf die Berufung der Antragsgegnerin das Urteil des AG Brühl vom 29.5.2008 aufgehoben und die Sache zur erneuten gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit den noch anhängigen übrigen Verbundsachen sowie über die Kosten des Berufungsverfahrens an das AG zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige - insbesondere form- und fristgerecht eingelegte - Berufung der Antragsgegnerin hat insoweit mit dem Hilfsantrag Erfolg, als sie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung der Sache mit den noch anhängigen übrigen Verbundsachen an das Familiengericht zurückzuverweisen war. Das weitergehende Rechtsmittel der Antragsgegnerin und die Berufung des Antragstellers gegen die Entscheidung des AG in dem angefochtenen Urteil zur Folgesache nachehelicher Unterhalt waren zurückzuweisen.
Im Ergebnis zu Recht rügt die Antragsgegnerin im Wege der Anfechtung des Scheidungsausspruchs, dass das AG dem Scheidungsantrag des Antragsgegners unter Auflösung des Scheidungsverbundes vor der Entscheidung über die noch anhängigen Folgesachen stattgegeben hat. Denn die Auflösung des Verhandlungs- und Ehescheidungsverbundes erfolgte jedenfalls in Bezug auf die noch anhängige Folgesache Zugewinnausgleich verfahrensfehlerhaft. Die Entscheidung über den Scheidungsantrag und die Folgesache nachehelicher Unterhalt unter Abtrennung der Folgesache Zugewinnausgleich stellt ein unzulässiges Teilurteil dar, weil aufgrund der besonderen Umstände im vorliegenden Fall die Gefahr sich widersprechender Teilentscheidungen zu den Folgesachen nachehelicher Unterhalt und Zugewinnausgleich besteht.
Entscheidungserheblich für das Vorliegen und die Höhe eines Anspruchs der Antragsgegnerin gegen den Antragsteller auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt ist, worauf nicht zuletzt der Antragsteller mit Schriftsatz vom 30.10.2009 hingewiesen hat, die strittige Frage, ob und ggf. in welcher Höhe der Antragsgegnerin ab Rechtskraft der Scheidung ein Wohnvorteil zuzurechnen ist. Indes hängt von der Entscheidung über den Zugewinnausgleichsanspruch ab, ob der Antragsgegnerin ein Vorteil durch mietfreies Wohnen in der im gemeinsamen Eigentum der Parteien stehenden Immobilie entsteht.
Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand k...