Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterlassene Cerclage bei Mehrlingsschwangerschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es stellt keinen Behandlungsfehler dar, bei drohender Frühgeburt im Rahmen einer Mehrlingsschwangerschaft eine Cerclage zu unterlassen.

2. Der unspezifische Verweis auf ein allgemeines Diskussionsforum im Internet stellt keinen beachtlichen Vortrag dar, um Widersprüche zu einem gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten aufzuzeigen.

3. Der Grundsatz, dass sich mehrere einfache Behandlungsfehler in der Gesamtschau als grober Behandlungsfehler darstellen können, ist nicht dergestalt auf die Ebene des einfachen Behandlungsfehlers übertragbar, dass mehrere nicht optimale, aber auch nicht fehlerhafte, Verhaltensweisen zu einem einfachen Behandlungsfehler aufaddiert werden.

4. Eine Cerclage stellt sich im Zusammenhang mit einer Mehrlingsschwangerschaft nicht als gleichwertig zu einer konservativen Behandlung und damit nicht als zwingend aufklärungspflichtige Behandlungsalternative dar.

5. Die Darlegungs- und Beweislast für die Kausalität zwischen einer unterlassenen Aufklärung über die Möglichkeit einer Cerclage und dem Schadenseintritt infolge der eingetretenen Frühgeburt beurteilt sich nicht nach den Grundsätzen über den hypothetischen Kausalverlauf, sondern obliegt in vollem Umfang der Klägerseite (Anschluss an BGH, Urt. v. 7.2.2012; VI ZR 63/11; Aufgabe der Rechtsprechung im Urt. v. 2.2.2011 - 5 U 15/09).

6. Bei unzureichender Sicherungsaufklärung kommt ein Mitverschulden des Patienten wegen des geäußerten Wunsches nach Entlassung nicht in Betracht.

 

Normenkette

BGB §§ 253, 280, 611, 823

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 13.07.2011; Aktenzeichen 25 O 154/07)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerinnen gegen das am 13.7.2011 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 154/07 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 1) zu 98 % und der Klägerin zu 2) zu 2 % auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägerinnen wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerinnen begehren Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen behaupteter unzureichender Schwangerschaftsbetreuung der Klägerin zu 2). Der Klägerin zu 2), bei der starker Kinderwunsch bestand, waren im Februar 2001 nach einer Invitrofertilisation in der Uniklinik L. drei Embryonen eingesetzt worden, von denen sie im April 2001 einen durch abortus imminens verlor. Im Anschluss daran wurde sie von dem Beklagten gynäkologisch weiter betreut. Dieser stellte am 16.5.2001 eine erheblich verkürzte Portio und Druck auf den Gebärmuttermund fest, ferner eine Bakterien- und Pilzinfektion, die er behandelte. Weitere Untersuchungen und Behandlungen erfolgten in der Zeit von Mai bis Juli 2001. Am 11.7.20012 überwies er die Klägerin zu 2) im Hinblick auf Frühgeburtsbestrebungen in die Uniklinik. Dort erfolgte am 14.7.2001 eine Not-Kaiserschnittentbindung in der 24. Schwangerschaftswoche. Die Klägerin zu 1) überlebte schwerstbehindert, ihr Bruder verstarb.

Die Klägerinnen haben - gestützt auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung O. (T.) und ein weiteres Privatgutachten (Privatdozent T1) dem Beklagten vorgeworfen, die Untersuchungen im Hinblick auf die Frühgeburtsbestrebungen unzureichend durchgeführt zu haben. Vor allem aber habe - jedenfalls nach Abklingen der Infektion - eine Cerclage gelegt werden müssen. Mindestens aber habe über die Möglichkeit einer Cerclage mit der Klägerin zu 2) gesprochen werden müssen.

Sie haben beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) zu Händen ihrer Eltern O1 und S. D. ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, einen Betrag von 350.000 EUR jedoch nicht unterschreiten sollte, nebst Verzugszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 1) zu Händen ihrer Eltern D. allen zukünftigen immateriellen und sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin zu 1) im Zusammenhang mit der Behandlung ihrer Mutter durch den Beklagten entstanden ist, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen ist;

3. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) zu Händen ihrer Eltern D. eine angemessene Schmerzensgeldrente seit dem 1.8.2001 bis auf weiteres zunächst bis zum 14.7.2019 jeweils monatlich im Voraus zu zahlen;

4. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, einen Betrag von 10.000 EUR jedoch nicht unterschreiten sollte, nebst Verzugszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

5. den Beklagten zu v...

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