Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Anrechnung des vollen Wiederbeschaffungswertes ohne Anrechnung des Restwertes des Fahrzeugs
Leitsatz (amtlich)
Dem Geschädigten steht es frei, die beschädigte Sache (hier: Pkw nach Verkehrsunfall) unter Abzug des Restwerts von den Wiederbeschaffungskosten zu behalten bzw. selbst zu verwerten oder aber die Sache dem Schädiger ohne Kürzung der Wiederbeschaffungskosten zwecks Verwertung zu überlassen.
Entscheidet sich der Geschädigte dafür, der Haftpflichtversicherung sein Fahrzeug zur Verwertung zu überlassen, hat sich mit der Ausübung des Wahlrechts die Verpflichtung des Geschädigten auf die Überlassung des Fahrzeugs konkretisiert. Eine einklagbare Verpflichtung zur Abnahme des Fahrzeugs ist dagegen nicht entstanden. Die Nichtannahme des Fahrzeugs durch den Schädiger hat lediglich der Folgen des Annahmeverzugs gem. §§ 393 ff. BGB.
Zur Verletzung der Pflicht zur Schadensminderung, wenn der Geschädigte zur eigenen Verwertung des Wracks eine dafür besonders günstige, dem Schädiger nicht erreichbare Möglichkeit hat, und dazu, ob der Geschädigte gehalten ist, den Pkw gem. § 383 BGB versteigern zu lassen und den Erlös zu hinterlegen.
Zur Frage der hinreichenden Darlegung, ob eine behauptete unfallbedingte Beeinträchtigung (hier: sog. HWS-Schleudertrauma) die sog. Geringfügigkeitsgrenze überschritten hat.
Zur Frage der Verpflichtung des Gerichts, von Amts wegen das Erscheinen des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachten anzuordnen.
Normenkette
StVG §§ 7, 18 bzw. BGB § 823 Abs. 1; BGB §§ 249 ff.; ZPO § 411 Abs. 3, §§ 402, 397
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 11.12.2008; Aktenzeichen 18 O 253/08) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Köln vom 11.12.2008 - 18 O 253/08 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.992,44 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.3.2007 zu zahlen.
Der Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, den Kläger von der Verpflichtung zur Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten i.H.v. 402,82 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.3.2007 ggü. den Rechtsanwälten Dr. N., X., 00000 L., freizustellen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, auch diejenigen Kosten zu übernehmen, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 24.4.2009 dadurch entstanden sind und zukünftig noch entstehen, dass der Beklagte das streitgegenständliche Unfallfahrzeug des Klägers nicht einer Verwertung zuführt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berufung des Klägers im Übrigen sowie die Berufung des Beklagten werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger zu 60 % und der Beklagte zu 40 %.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 65 % und der Beklagte 35 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen den Beklagten Ansprüche auf (restlichen) Schadensersatz sowie auf Schmerzensgeld aus einem Unfallgeschehen vom 2.2.2007 geltend, bei dem der Beklagte mit seinem Pkw S. auf den Pkw W. des Klägers auffuhr. Die Haftung des Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Haftpflichtversicherung des Beklagte zahlte an den Kläger gem. Abrechnung vom 21.2.2007 (Bl. 25 GA) Schadensersatz i.H.v. insgesamt 1.583,27 EUR, wobei sie von dem gem. einem vorgerichtlich eingeholten Gutachten mit 1.700 EUR angesetzten Wiederbeschaffungswert des klägerischen Fahrzeugs einen Restwert i.H.v. 650 EUR in Abzug brachte.
Der Kläger hat erstinstanzlich über den von der Haftpflichtversicherung des Beklagten geleisteten Schadensersatz hinaus weiteren Schadensersatz i.H.v. insgesamt 4.234,44 EUR, Schmerzensgeld wegen eines angeblich erlittenen HWS-Schleudertraumas i.H.v. 800 EUR sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts und des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil.
Das LG hat den Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an den Kläger weiteren Schadensersatz i.H.v. insgesamt 1.892,44 EUR zu zahlen sowie ihn von vorgerichtlichen Anwaltskosten i.H.v. 359,50 EUR freizustellen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LG ausgeführt, dass der Kläger Anspruch auf Erstattung des vollen Wiederbeschaffungswertes ohne Anrechnung des Restwertes seines Fahrzeugs habe. Der Kläger habe nach der einschlägigen Rechtsprechung des BGH die Alternative der Verwertung seines Fahrzeugs durch den Beklagten wählen dürfen. Dass er nicht auf das von der Haftpflichtversicherung des Beklagten übermittelte Angebot zum Ankauf des Fahrzeugs eingegangen sei, stelle keinen Verstoß gegen die dem Kläger grundsätzlich obliegende Schadensminderungspflicht dar, da hier nicht der Ausnahmefall vorliege, dass der Geschädigte...