Leitsatz (amtlich)

1. Bei Art. 95 Abs. 3 VO (EU) Nr. 528/2012 handelt es sich um eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG, weil die Vorschriften der VO (EU) Nr. 528/2012 zur Regelung von Gesundheits- und Sicherheitsaspekten von Biozidprodukten auch dem Interesse der Verbraucher dienen.

2. Ist ein Wirkstoff (hier: Kieselgur zur Bekämpfung der Roten Vogelmilbe) durch eine Durchführungsverordnung gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a VO (EU) 528/2012 als Wirkstoff zur Verwendung in Biozidprodukten der Produktart 18 genehmigt worden, steht für ein Gerichtsverfahren in einem Mitgliedsstaat verbindlich fest, dass es sich um ein Biozidprodukt handelt, wenn die Zusammensetzung des angegriffenen Produkts mit der des repräsentativen Biozidprodukts identisch ist, und zwar auch dann, wenn feststeht, dass der Wirkstoff Kieselgur durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung auf Schadorganismen wirkt (EuGH, Urteil vom 14.10.2021, Az. C-29/20, GRUR 2022, 96 - BIOFA).

3. Für die Prüfung der Identität des repräsentativen Biozidprodukts und des angegriffenen Produkts kommt es allein auf die Identität des Wirkstoffes an; Unterschiede in der sonstigen Zusammensetzung oder in der Art der Anwendung bleiben außer Betracht.

 

Normenkette

UWG § 3a; VO (EU) Nr. 528/2012 Art. 95 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 31 O 131/16)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 19.03.2019, Az. 31 O 131/16 teilweise abgeändert und insgesamt unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt neu gefasst:

I. Die Beklagte wird verurteilt, es unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten im geschäftlichen Verkehr auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen,

1. Produkte mit dem Wirkstoff Kieselgur zur Bekämpfung von Geflügelmilben, insbesondere der roten Vogelmilbe, abzugeben, namentlich das unter der Bezeichnung "HS Mikrogur" vertriebene Produkt, wie in Anlage BK3 geschehen, wenn der Stofflieferant oder Produktlieferant der Beklagten nicht in der Liste gemäß Art. 95 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 für die Produktart 18 aufgeführt ist;

2. Produkte mit dem Wirkstoff Kieselgur zur Bekämpfung von Geflügelmilben, insbesondere der roten Vogelmilbe, namentlich das unter der Bezeichnung "HS Mikrogur" vertriebene Produkt, wie in Anlage BK4 geschehen, zu bewerben und/oder bewerben zu lassen:

a) ohne den Hinweis "Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformation lesen":

und/oder

b) mit der Aussage "giftfrei";

und/oder

c) mit der Aussage "ungefährlich".

II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin schriftlich Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang und über welchen Zeitraum die unter Ziffer I bezeichneten Handlungen hinsichtlich Ziffer I 1 seit dem 18.10.2015 sowie hinsichtlich Ziffer I 2 seit dem 21.12.2018 vorgenommen wurden, wobei die Auskunft in Form eines verbindlichen und vollständigen Verzeichnisses zu erfolgen hat, welches insbesondere das Lieferdatum, die Liefermenge sowie Preis, Namen und Anschriften der Abnehmer enthalten muss.

III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der dieser durch die in dem Klageantrag Ziffer I hinsichtlich Ziffer I 1 seit dem 18.10.2015 sowie hinsichtlich Ziffer I 2 seit dem 21.12.2018 bezeichneten Handlungen bisher entstanden ist und/oder noch entstehen wird.

IV. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.928,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.05.2016 zu zahlen.

V. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

VI. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

VII. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung hinsichtlich der Unterlassung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 200.000 EUR (150.000 EUR hinsichtlich Ziffer I 1 und 50.000 EUR hinsichtlich Ziffer I 2) und hinsichtlich der Auskunft in Höhe von 5.000 EUR abwenden, wenn die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

VIII. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagte berechtigt ist, ein Produkt zur Schädlingsbekämpfung, das Kieselgur als einzigen Wirkstoff enthält, in den Verkehr zu bringen, auch wenn dieses nicht von einem gelisteten Importeur oder Hersteller stammt.

Die Klägerin ist ein mittelständisches Unternehmen und entwickelt Produkte für die Landwirtschaft, überwiegend auf biologischer Basis, beantragt Zulassungen und bringt die zugelassenen Produkte im Bereich der Bundesrepublik Deutschland, anderer EU-Staaten oder Staaten des Europäischen Wirtsc...

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