Leitsatz (amtlich)
Zur Befugnis einer Pflegekraft zur Gestattung des unbeaufsichtigten Duschens eines suizidgefährdeten Patienten auf der geschlossenen psychiatrischen Station ohne vorherige Rücksprache mit einem Arzt und zur Kausalität einer Pflichtverletzung für den eingetretenen Suizid.
Normenkette
BGB §§ 280, 823, 831; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Aachen (Aktenzeichen 11 O 49/21) |
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 27.09.2023 - 11 O 49/21 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin zu 1) war die Ehefrau und die Kläger zu 2) und 3) waren die Söhne des am 00.00.1966 geborenen und am 00.00.2019 im D. Krankenhaus in Y. infolge eines Suizids verstorbenen Herrn J. E. (im Folgenden Patient). Trägerin des D. Krankenhauses ist die Beklagte.
In der Nacht vom 00. auf den 00.00.2019 nahm der Patient im Keller seines Hauses zwei Flaschen Kräuterlikör in einer Gesamtmenge von 1,4 Liter sowie ca. 50 Tabletten des Betablockers Metoprolol in suizidaler Absicht zu sich. Entgegen seinem zunächst gefassten Plan, im Keller zu bleiben und dort zu versterben, begab er sich in das Schlafzimmer zu seiner Ehefrau, der Klägerin, und verbrachte den Rest der Nacht dort. In den frühen Morgenstunden erbrach er mehrfach und zeigte sich zunehmend eingetrübt. Die Klägerin rief daraufhin den Notarzt, der ihn unter dem Verdacht auf Mischintoxikation in die Universitätsklinik Y. einlieferte. Im Krankenhaus wurde der Patient intensivmedizinisch überwacht. Nach Einholung eines psychiatrischen Konsils kam man zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen einer Unterbringung nach dem PsychKG nicht erfüllt waren. Das Vorliegen eines depressiven Syndroms wurde von den behandelnden Ärzten des Universitätsklinikums verneint und die Mischintoxikation mit Alkohol und Metoprolol nicht als final angelegte suizidale Handlung gewertet. Dem Patienten wurde eine Behandlung auf einer offenen psychiatrischen Station, alternativ eine ambulante Behandlung empfohlen.
Nach seiner Entlassung aus dem Universitätsklinikum Y. am Abend des 00.00.2019 teilte der Patient seiner Familie am Abend zu Hause mit, dass er sehr wohl Selbstmordwünsche hege. Sein Leben sei zwar aktuell auf dem Höhepunkt, von hier aus könne es aber nur noch Rückschritte geben. Anders als er dies in der Uniklinik Y. angegeben habe, habe er sich sehr wohl das Leben nehmen wollen. Auf der Intensivstation habe er weitere Möglichkeiten durchdacht, wie er sich das Leben nehmen könne. Als mögliche neue lebensbeende Maßnahmen nannte der Patient gegenüber seiner Familie "erhängen oder ertränken". Die Klägerin konnte den Patienten daraufhin davon überzeugen, sich erneut in einer Klinik vorzustellen.
In der Nacht vom 00.00. auf den 00.00.2019, kurz vor Mitternacht, traf der Patient im Hause der Beklagten, einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie, ein. Dort führte die Ärztin Dr. P. mit dem Patienten ein Aufnahmegespräch. Der Patient zeigte sich im Kontakt freundlich, auskunftsbereit und hilfesuchend. Seine Stimmung war gedrückt und der Affekt verflacht. Inhaltliche Denkstörungen wie etwa eine wahnhafte Realitätsverkennung waren nicht zu erkennen. Von akuter Suizidalität war er nicht distanziert, eine ausreichende Absprachefähigkeit war jedoch erhalten. Er berichtete, dass er sich während seines Aufenthaltes auf der Intensivstation verschiedene Varianten überlegt habe, wie er sich das Leben nehmen könne. Er arbeite als Pflegekraft in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und habe daher gewusst, was er der psychiatrischen Konsiliarärztin in der Uniklinik habe erzählen müssen, damit er dort nicht aufgenommen werde. Der Patient teilte weiter mit, dass es für ihn persönlich aktuell mehrere belastende Faktoren gebe, die sich auf seine Psyche auswirkten. Seine Eltern seien in einem zunehmend pflegebedürftigen Zustand. Seine Schwiegertochter erhole sich gerade von einer schweren Erkrankung. Er habe etwa 10 Wochen zuvor einen Strecksehnenabriss des Fingers erlitten. Er fühle sich an seinem Arbeitsplatz überfordert, da er die erforderliche Technik nicht beherrsche. Dr. P. hielt in ihrem Arztbericht fest, dass der Patienten immer wieder andrängende Suizidgedanken äußere, sich gedanklich mit konkreten Suizidplanungen beschäftige, sich nicht sicher und eindeutig von suizidalen Vorhaben distanzieren könne, bezüglich konkreter Suizidvorhaben nicht einschätzbar und nicht sicher absprachefähig sei, im stationären Rahmen aber für sich garantieren könne. Er wünsche eine stationäre Behandlung und wolle für seine Familie weiterleben.
Der Patient wurde sodann auf freiwilliger Basis...