Entscheidungsstichwort (Thema)
"Extrakt der Ginkgo-biloba Pflanze": Arzneimittel oder Lebensmittel
Leitsatz (amtlich)
Enthält ein Getränk, einen Inhaltsstoff (hier: Ginkgo-Extrakt), der ab einer bestimmten Tagesdosis zu pharmakologischen Wirkungen führt (hier: 120 mg), bleibt aber die auf dem Flaschenetikett aufgedruckte Trinkempfehlung (hier: 1-2 Gläser = bis zu 100 mg) dahinter zurück, so kann die Arzneimitteleigenschaft des Getränkes nicht mit der Überlegung begründet werden, es gebe mutmaßlich Konsumenten, die die Empfehlung nicht beachteten.
Ist die pharmakologische Wirkung unterhalb einer bestimmten Tagesdosis in keiner wissenschaftlichen Versuchsreihe nachgewiesen worden, nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft aber keineswegs ausgeschlossen, so führt die Anwendung der Zweifelsregel in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG i.d.F. der Richtlinie 2004/27/EG nicht zur Bejahung der Arzneimitteleigenschaft.
Ein Ginkgo-Extrakt ist eine i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 1 LFGB charakteristische Zutat des Lebensmittels.
Normenkette
AMG § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1; BasisVO Art. 14 Abs. 2-3; LFGB § 2 Abs. 2, 3 S. 2 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2; HWG § 3a; UWG § 4 Nr. 11; RiLi 2004/27/EG Art. 1 Nr. 2b; RiLi 2004/27/EG Art. 2 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 03.02.2006; Aktenzeichen 81 O 257/02) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 3.2.2006 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des LG Köln - 81 O 257/02 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat die Klägerin zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann jedoch die Vollstreckung des Kostenerstattungsanspruches durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien stehen sich als Hersteller und Vertreiber von Ginkgo-Produkten gegenüber. Dabei handelt es sich um Erzeugnisse, die unter Verwendung von Trockenextrakt der Ginkgo-biloba Pflanze hergestellt werden. Ginkgo biloba ist eine aus China stammende Heilpflanze, der - abhängig von der eingenommenen Menge - bestimmte auch heilende Wirkungen zugeordnet werden. Die pharmakologischen Eigenschaften und Anwendungsgebiete für Trockenextrakt aus Ginkgo-biloba Blättern sind in einer Monographie des damaligen Bundesgesundheitsamtes vom 19.7.1994 dargelegt, wegen deren Wortlautes auf die Anlage K 8 Bezug genommen wird. Nach dieser Monographie weist Ginkgo-biloba-Extrakt jedenfalls in einer eingenommenen Tagesdosis von 120 Milligramm pharmakologische Wirkung auf. Neben der Aufbereitungsmonographie des früheren Bundesgesundheitsamtes existiert noch die Monographie "Folium-Ginkgo" der Weltgesundheitsorganisation (WHO), deren Wortlaut sich aus der Anlage K 9 ergibt. Die Parteien streiten - nach Beilegung anderer Streitpunkte - u.a. noch darüber, ob das von der Beklagten vertriebene Ginkgo-Produkt ein zulassungspflichtiges Arzneimittel darstellt.
Die Klägerin, ein auf die Herstellung und den Vertrieb pflanzlicher Heilmittel spezialisiertes Unternehmen, vertreibt unter der Bezeichnung "Tebonin" ein als Arzneimittel zugelassenes Ginkgo-Präparat in verschiedenen Dosierungen. Es dient zur Behandlung hirnorganischer Störungen wie Gedächtnisschwund, Schwindel und Konzentrationsschwäche.
Die Beklagte vertreibt im Rahmen ihrer "Wirkungsgetränkelinie Carpe Diem" ein nicht als Arzneimittel zugelassenes Ginkgo-Getränk mit Traubenzucker. Der in diesem Produkt verarbeitete Ginkgo-Extrakt ist entsprechend den Vorgaben der Monographie des früheren Bundesgesundheitsamtes (Anlage K 8) gewonnen worden. Das Produkt besteht zu 0,02 % aus Ginkgo-Extrakt und im Übrigen aus Wasser, Traubenzucker und weiteren aus der Zutatenliste ersichtlichen Zutaten. Neben der Zutatenliste befindet sich auf dem rückseitigen Flaschenetikett auch die Angabe "Empfohlen werden täglich ein bis zwei Gläser". Das Getränk wird in 1-Liter Flaschen abgegeben, deren Ausstattung aus S. 5 dieses Urteils sowie - mit einem unwesentlich abgewandelten Etikett - aus der als Anlage K 6 vorgelegten Originalflasche ersichtlich ist.
Die Klägerin hat zunächst eine Anzahl werblicher Aussagen der Beklagten für dieses Produkt in den Vordergrund ihres Angriffs gestellt, wegen deren Einzelheiten auf die Klageschrift verwiesen wird. Später hat sie die Anträge umgestellt und mit ihrem Hauptantrag das Verbot begehrt, das Produkt "Carpe Diem Ginkgo" in seiner konkreten Ausstattung in Verkehr zu bringen. Wegen des Wortlautes der zuletzt vor dem LG gestellten Haupt- und Hilfsanträge wird auf die Seiten 2-5 des Schriftsatzes der Klägerin vom 8.3.2004 (Bl. 279 ff.) verwiesen.
Die Beklagte hat sich darauf berufen, es handele sich bei dem angegriffenen Produkt um ein Lebensmittel. Dieses werde in Österre...