Entscheidungsstichwort (Thema)
Nervverletzung bei Implantation einer Bandscheibenprothese; Behandlungsfehler, Aufklärung, Zurechnungszusammenhang
Leitsatz (amtlich)
1. Die Implantation einer Bandscheibenprothese kann nach dem Stand der wissenschaftlichen Diskussion im Jahr 2011 auch bei ausgeprägter Segmentdegeneration nicht als standardwidrig angesehen werden.
2. Aus dem Umstand, dass eine intraoperativ aufgetretene Komplikation nicht dokumentiert wird, obwohl sie (hier unterstellt) vom Operateur bemerkt wird, lässt sich keine Beweiserleichterung im Hinblick auf einen möglichen Behandlungsfehler herleiten.
3. Die nicht erfolgende Einheilung eines Bandscheibenimplantates lässt keinen Rückschluss auf ein fehlerhaftes Vorgehen bei der Operation zu.
4. Es fehlt am notwendigen Zurechnungszusammenhang zwischen einer (unterstellt) fehlerhaften Aufklärung über Risiken, mangelnde Langzeiterfahrungen oder Behandlungsalternativen bei einer Bandscheibenimplantation und einem auf der Operation beruhenden Nervschaden, wenn feststeht, dass die Patientin in jedem Fall einer operativen Methode zugestimmt hätte und der zum Schaden führende Operationsteil in gleicher Weise Bestandteil beider Operationen gewesen wäre. Außerdem fehlt es dann regelmäßig an einem plausiblen Entscheidungskonflikt.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 24.09.2014; Aktenzeichen 25 O 365/12) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 24.9.2014 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 365/12 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die am 00.00.1958 geborene, mehrfach an der rechten Hand, beiden Ellenbögen und der Lendenwirbelsäule voroperierte Klägerin stellte sich am 16.5.2011 beim Beklagten zu 1) vor, der als niedergelassener Facharzt für Neurochirurgie tätig und zugleich im Krankenhaus der Beklagten zu 2) angestellt ist. Sie berichtete über Brachialgien rechts bis in den Arm und den Zeigefinger ausstrahlend sowie Kopf- und Nackenschmerzen. Die am 14.4.2011 durchgeführte Magnetresonanztomografie, die dem Beklagten zu 1) vorlag, hatte einen im Vergleich zum Vorbefund progredienten, rechts betonten Bandscheibenvorfall C 5/6 ergeben. Der Beklagte zu 1) empfahl eine Mikroneurolyse C 5/6 und die Implantation einer Bandscheibenprothese. Nach einem Aufklärungsgespräch, dessen Inhalt streitig ist, unterzeichnete die Klägerin einen proCompliance-Aufklärungsbogen "Operationen an der Halswirbelsäule von vorne".
An 26.5.2011 wurde die Klägerin im Krankenhaus der Beklagten zu 2) aufgenommen. Der Beklagte zu 1) führte den Eingriff am 27.5.2011 durch. Im Operationsbericht sind keine Komplikationen erwähnt. Im Aufwachraum zeigte sich eine Parese des rechten Arms. Daraufhin wurden noch am gleichen Tag eine Computertomografie und am 28.5.2011 ein neurologisches Konsil und eine Magnetresonanztomografie durchgeführt. Am 6.6.2011 wurde die Klägerin entlassen. Im Entlassungsbericht vom 16.6.2011 heißt es, dass sich unmittelbar postoperativ eine Minderinervation des rechten Armes mit diffusen Schmerzen von neuropathischem Charakter sowie ein Taubheitsgefühl im Bereich der linken Hand gezeigt hätten. Die Parese des Arms sei im weiteren Verlauf rückläufig gewesen.
Am 7.6.2011 und 7.7.2011 suchte die Klägerin den Beklagten zu 1) auf. Bei der letzten Vorstellung vermerkte dieser, dass Paresen nur noch distal vorhanden seien, die Finger eine Anästhesie oder Dysästhesie zeigten und Schmerzen lokal in der Hand auslösbar seien.
Nach Vorstellungen beim Handchirurgen Dr. P am 21.7.2011 und beim Neurologen Dr. T am 26.7.2011 ließ die Klägerin während der stationären Aufenthalte im Krankenhaus T2 in S vom 2.8.2011 bis 5.8.2011 und vom 6.9.2011 bis 14.9.2011 jeweils eine Nervenstimulation durchführen. Ab dem 7.9.2011 trat nach einem Krampfgeschehen und einem Sturz eine Harnblasenentleerungsstörung auf, die zur Anlage eines suprapubischen Katheters am 11.9.2011 führte.
Vom 26.9.2011 bis 14.10.2011 wurde die Klägerin in der X-Klinik in X2 behandelt. Am 5.10.2011 erfolgte eine Revisionsoperation mit Entfernung der Bandscheibenprothese, Nachdekompression und Einsatz eines Titancages. Bei einer Kontrolluntersuchung am 16.12.2011 zeigte sich eine gewisse Verbesserung der Parese der rechten Hand. Der Kraftgrad der Handhebung betrug 2/5. Im Frühjahr 2013 stellte sich wieder eine Spontanmiktion ein, so dass der suprapubische Katheter am 22.4.2013 entfernt werden konnte.
Die Klägerin hat die Beklagten auf ein Schmerzensgeld von mindestens 50.000 EUR, Feststellung der Ersatzpflicht und Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten...