Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdacht auf Hodentorsion ist im Zweifel durch sofortige operative Freilegung des/der Hoden(s) zu klären
Leitsatz (amtlich)
Ist der Erstbehandler (hier: Abteilung für Innere Medizin eines Krankenhauses) hierzu nicht in der Lage, muss er den Patienten notfallmäßig weiterverlegen. Die Zuweisung an einen niedergelassenen Urologen, der bekanntermaßen schon mangels Ausstattung die Operation nicht selbst durchführen kann, genügt nicht. Für dadurch eingetretene Verzögerungen hat der Erstbehandler einzustehen. 18.000 Euro Schmerzensgeld wegen Verlustes eines Hodens bei einem 15-jährigen Jungen.
Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 11.04.2001; Aktenzeichen 11 O 483/00) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Beklagte zu 1) unter teilweiser Abänderung des am 11.4.2001 verkündeten Urteils der 11. Zivilkammer des LG Aachen - 11 O 483/00 - verurteilt, an die Kläger 18.000 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 26.11.1996 zu zahlen.
Im Übrigen wird die gegen den Beklagten zu 1) gerichtete Klage unter Zurückweisung der Berufung insoweit abgewiesen.
Die Berufung des Beklagten zu 1) wird zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Tatbestand
Der am 10.3.1980 geborene Kläger litt am Vormittag des 12.2.1996 unter starken Schmerzen im linken Unterbauch, in die linke Leiste ziehend, sowie unter Übelkeit und zweimaligen Erbrechen. Wegen dieser Beschwerden wurde er gegen Mittag des Tages in die Klinik des Beklagten zu 1) aufgenommen. Im Rahmen der Aufnahmeuntersuchung wurde eine Hodentorsion ausgeschlossen. Nach Gabe von Buscopan und parenteraler Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr wurde er zunächst beschwerdefrei. Ausweislich der Behandlungsdokumentation traten dann im Verlaufe der Nacht und in den Morgenstunden des 13.2.1996 erneut Schmerzen auf. Um 7.20 Uhr ergab sich folgender Befund:
"Skrotum unauffällig, keine Schwellung, kein Ödem, Prehn'sches Zeichen negativ, steinharter Knoten am unteren linken Hodenpol, nur geringer Druckschmerz bzw. steinharter Knoten kaudal ohne Druckschmerz. Oberarzt I. und Oberarzt (unleserlich) informiert: Untersuchung - Befund wie bei Epididymiszyste, Tumor - Information der Eltern, Terminvereinbarung Praxis Dr. D., Vorstellung Klinikum - Tumor/Zyste oder Torsion bzw. Torsion oder Tumor".
Im Anschluss an die Untersuchung erhielt der Kläger noch ein Frühstück, außerdem wurde sein Vater informiert, der gegen 9.00 Uhr in der Klinik eintraf und den Kläger sodann in seinem Pkw zum Beklagten zu 2) verbrachte. Dieser führte verschiedene Untersuchungen durch, u.a. eine Ausscheidungsurografie. Er bestätigte den Verdacht auf Hodentorsion und empfahl eine sofortige Vorstellung in dem Klinikum der Beklagten zu 3) zur notfallmäßigen Freilegung der Hoden. Dort wurde der Kläger zwischen 12. 00 Uhr und 13.00 Uhr als Notfall mit Hodentorsion aufgenommen. Mit der Operation wurde erst um 15.45 Uhr begonnen. Intraoperativ ergab sich eine komplette Torsion des linken Hodens mit Nachweis einer irreversiblen Infarzierung, so dass der Hoden entfernt werden musste.
Der Kläger hat sämtliche Beklagte auf Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 50.000 DM in Anspruch genommen. Allen Beklagten sei vorzuwerfen, dass sie auf die Verdachtsdiagnose Hodentorsion nicht schnell genug reagiert hätten. Wegen der vermeidbaren Verzögerungen sei es zum Hodenverlust gekommen.
Die Beklagten haben vermeidbare Verzögerungen in Abrede gestellt und im Übrigen mangelnde Kausalität der ihnen eingelasteten Fehler für den eingetretenen Schaden eingewandt.
Das LG hat, gestützt auf ein Gutachten des Facharztes für Urologie und Chirurgie Prof. Dr. L., das dieser für die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein erstellt hatte, der gegen den Beklagten zu 1) gerichteten Klage i.H.v. 25.000 DM stattgegeben, die Klage im Übrigen abgewiesen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine Ansprüche gegen die Beklagten zu 1) und 3) vollumfänglich weiter. Die gegen die Abweisung der gegen den Beklagten zu 2) gerichtete Berufung hat er zurückgenommen. Der Beklagte zu 1) erstrebt mit seiner Berufung Klageabweisung.
Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der gegen den Beklagten zu 1) erhobene Schmerzensgeldanspruch ist endentscheidungsreif, so dass insoweit Teilurteil ergehen kann (§ 301 ZPO). Bezüglich des gegen die Beklagte zu 3) geltend gemachten Anspruchs bedarf es noch weiterer Sachaufklärung.
Das LG hat der gegen den Beklagten zu 1) gerichteten Klage dem Grunde nach zu Recht stattgegeben, denn dieser haftet dem Kläger aus dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung gem. §§ 847, 823, 831, 31 BGB wegen des Verlustes des linken Hodens auf Schadensersatz. Es hat aber das Schmerzensgeld etwas zu gering bemessen. In Ansehung aller Umstände steht dem Kläger ein Schmerzensgeld von 18...