Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem zu erwartenden Geburtsgewicht von (je nach Schätzung deutlich) über 4000g, erheblichem Übergewicht und nicht auszuschließendem Schwangerschaftsdiabetes muss die Mutter frühzeitig über die Möglichkeit einer Schnittentbindung aufgeklärt werden.
2. Zur Frage, wann - als solche von Behandlerseite eingeräumte - Nachträge im Geburtsprotokoll zur angeblich erfolgten Aufklärung nicht glaubwürdig sind.
3. Bei erkennbaren Sprachschwierigkeiten der Mutter muss sich der aufklärende Arzt zumindest von der Plausibilität einer von einem Familienangehörigen geleisteten Übersetzung überzeugen.
4. Eine milde Form der Erb'schen Lähmung, die sich vor allem in einer maßvollen globalen Kraftminderung (Kraftgrad 3-4 von 5) und einer leichten Fehlstellung des Glenohumeralgelenks mit der Folge einer begrenzten Außenrotation des Arms äußert, rechtfertigt ein Schmerzensgeld von 30.000.- EUR.
5. Denkbare, aber völlig ungewisse zukünftige Entwicklungen (insbesondere durch pubertäre Wachstumsschübe), die auch zu einer deutlichen Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes führen können, dies aber keineswegs müssen, sind als solche nicht "vorhersehbar" und bei der Schmerzensgeldbemessung nicht zu berücksichtigen.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 3 O 101/14) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 17.5.2016 - 3 O 101/14 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten zu 1, 3 und 4 werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 30.000.- EUR nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1.8.2012 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1, 3 und 4 als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche zukünftigen unvorhersehbaren immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihm infolge der Behandlung vom 14.7.2011 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die Beklagten zu 1, 3 und 4 als Gesamtschuldner zu 49 % und der Kläger zu 51 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1, 3 und 4 tragen der Kläger zu 19% und im Übrigen diese selbst. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten 2 und 5 trägt der Kläger.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten zu 1, 3 und 4 wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der am 14.7.2011 geborene Kläger nimmt die Beklagten (die Beklagte zu 1 als Krankenhausträger, die Beklagten zu 2 bis 5 als nach seiner Behauptung mit der Behandlung befasste Ärztinnen) wegen einer behaupteten geburtsbedingten Schädigung (Erb'sche Lähmung) in Anspruch.
Die damals 41jährige Mutter des Klägers hatte bereits im Jahr 2002 durch Vakuumextraktion ein Mädchen mit einem Geburtsgewicht von 3.490 g und im Jahr 2005 im Wege der Spontangeburt ein Mädchen mit einem Geburtsgewicht von 3.910 g geboren. Bei beiden Schwangerschaften lag ein Schwangerschaftsdiabetes bei ihr vor. Für die erneute Schwangerschaft waren entsprechende Untersuchungen nicht erfolgt. Im Mutterpass war die Größe der Mutter mit 1,65 m und ein Gewicht von 83,6 kg zu Beginn der Schwangerschaft vermerkt, gegen Ende der Schwangerschaft betrug das Gewicht 103,8 kg.
Errechneter Geburtstermin für den Kläger war der 10.7.2011. An diesem Tag stellte sich die Mutter des Klägers erstmals im Krankenhaus der Beklagten zu 1 vor. Eine hier durchgeführte CTG-Untersuchung war unauffällig, die Sonographie ergab ein erwartetes Geburtsgewicht von über 4000 g. Die niedergelassene Frauenärztin der Mutter errechnete am 12.7.2011 ein Geburtsgewicht von 4200 g. Am 14.07.2011 traten ab 6 Uhr regelmäßige Wehen auf. Gegen 8 Uhr wurde die Mutter des Klägers, die von ihrem Ehemann begleitet wurde, im Krankenhaus der Beklagten zu 1 aufgenommen. Die durchgeführte Ultraschallkontrolle ergab ein kindliches Schätzgewicht von etwa 4.061 g. Zu dieser Zeit war die Beklagte zu 4 diensthabende Ärztin. In der Folgezeit wurden mehrfach CTG-Untersuchungen durchgeführt, um 13.45 Uhr erfolgte ein spontaner Blasensprung. Gegen 14 Uhr übernahm die Beklagte zu 3 die Geburtsleitung. Zu dieser Zeit wurde eine prolongierte Dezeleration im CTG festgestellt, der in der Folgezeit weitere folgten. Ab 14 Uhr 25 war der Muttermund vollständig und es bestand Pressdrang. Die Beklagte zu 5 als Oberärztin wurde schließlich hinzugerufen und die Indikation für eine Vakuumextraktion gestellt. Um 15 Uhr 18 wurde der Kläger per Vakuumextraktion g...