Leitsatz (amtlich)
Ermittlung des Restschadens nach Verjährung bei sog. "kleinem" Schadensersatz in Dieselfällen
Normenkette
BGB §§ 826, 852
Verfahrensgang
LG Bonn (Aktenzeichen 1 O 369/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24.11.2021 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - Az. 1 O 369/20 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.406,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 25.03.2021 zu zahlen.
2. Im Übrigen werden die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits in 1. Instanz tragen die Klägerin zu 39 % und die Beklagte zu 61 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 27 % und die Beklagte zu 73 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 544 Abs. 2 Nr. 1, 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.
II. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden. In der Sache hat die Berufung der Klägerin teilweise Erfolg, weshalb das landgerichtliche Urteil teilweise abzuändern war.
1. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 07.07.2022 nunmehr statt des bisher geltend gemachten sog. "großen" Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB den sog. "kleinen" Schadensersatz geltend macht, ist dies auch ohne Einwilligung der Beklagten möglich. Eine Klageänderung gemäß § 533 ZPO liegt bei einem Wechsel von der Geltendmachung des "großen" auf den "kleinen" Schadensersatzanspruch nicht vor, da es insoweit lediglich um die Berechnungsmethode in Bezug auf den Schaden geht. Wechselt der Geschädigte die Art der Schadensberechnung, ohne seinen Antrag auf einen abgewandelten Lebenssachverhalt zu stützen, liegt hierin keine Klageänderung (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015, XI ZR 536/14, Rn. 33; BGH, Urteil vom 5. August 2014, XI ZR 172/13, WM 2014, 1763, Rn. 11; BGH, Urteile vom 9. Oktober 1991, VIII ZR 88/90, BGHZ 115, 286, 289 ff. und vom 9. Mai 1990, VIII ZR 237/89, WM 1990, 1748, 1749 f.; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 26. Januar 2022, 2 U 139/21, Rn. 18, mwN, juris, alle Entscheidungen im Folgenden zitiert nach juris). Es handelt sich bei Beanspruchung des Minderwerts lediglich um eine andere Bemessung des Vertrauensschadens (BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, Rn. 9).
2. Ursprünglich stand der Klägerin gegen die Beklagte dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu. Dass die Beklagte durch das Inverkehrbringen des mit einem Motor des Typs EA 189 ausgestatteten streitgegenständlichen Fahrzeugs eine unerlaubte Handlung im Sinne des § 826 BGB begangen hat, bedarf in Anbetracht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur etwa BGH Urteile vom 25.05.2020, VI ZR 252/19; vom 30.07.2020, VI ZR 354/19, 367/19, 397/19, 5/20) keiner weiteren Erörterung mehr. Dieser war von der Klägerin zunächst auf den sog. "großen" Schadensersatzanspruch, d.h. auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich der Nutzungsvorteile Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs wegen des Motors EA 189 gerichtet. Dem geschädigten Käufer steht es frei, im Rahmen des Anspruchs aus § 826 BGB statt des "großen" Schadensersatzes den "kleinen" Schadensersatz zu wählen, wobei er das Auto behält und als Schaden den Betrag ersetzt verlangt, "um den er den Kaufgegenstand - gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung - zu teuer erworben hat" (BGH, Urteil vom 06.07.2021, VI ZR 40/20, Rn. 15). Da es sich hierbei nur um die Bemessung des verbliebenen Vertrauensschadens und nicht um die Frage einer Anpassung des Vertrags handelt, braucht der Geschädigte in diesem Fall auch nicht nachzuweisen, dass sich der Vertragspartner auf einen Vertragsschluss zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte (BGH, Urteil vom 06.07.2021, VI ZR 40/20, Rn. 21).
3. Entgegen der Berufung hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht eine Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB angenommen. Der Beklagten steht nach § 214 BGB ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht zu.
a. Im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung ist das Landgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Anspruch der Klägerin der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB von drei Jahren unterliegt (grundlegend zu den Dieselfällen: BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20).
Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt diese Frist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Konkret auf die sog. Dieselverfahren bezogen genügt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der g...