Entscheidungsstichwort (Thema)
Briefe aus Petersburg
Leitsatz (amtlich)
1.) Zum Wiederaufleben des Urheberrechts an Werken von vor 1943 verstorbenen unterdrückten russischen Künstlern.
2.) Zum Zeitpunkt der Entstehung von Schadensersatz- und vorbereitenden Auskunftsansprüchen der Erben solcher wiederaufgelebten Rechte.
Normenkette
UrhG §§ 97, 101, 121; RBÜ Art. 7 Abs. 8
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 22.12.2010; Aktenzeichen 28 O 716/07) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 22.12.2010 verkündete Teilurteil der 28. Zivilkammer des LG Köln - 28 O 716/07 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, in welcher Gesamtauflage (Stückzahl) sie seit dem 1.1.2002 die Bücher
- "Geschichten von Himmelkumov und anderen Persönlichkeiten",
- "Briefe aus Petersburg 1933",
- "Die Kunst ist ein Schrank: aus den Notizbüchern 1924-1940",
- "Fälle. Prosa, Szenen, Dialoge" und
- "Zirkus T.. Vorstellung in zwei Akten".
hergestellt und verkauft hat, und zwar unter Angabe des jeweiligen Ladenverkaufspreises.
2. Die Beklagte wird ferner verurteilt, dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie seit dem 1.1.2002 die unter Nr. 1 bezeichneten Werke oder Teile davon durch Lizenzierung (Vergabe von Nutzungsrechten) verwertet hat, also Auskunft darüber zu erteilen,
a) ob und wie häufig sie an den unter Nr. 1 bezeichneten Werken oder Teilen davon Nutzungsrechte vergeben hat,
b) an wen (unter Angabe von Namen und Anschrift) sie solche Nutzungsrechte vergeben hat,
c) in welcher Höhe sie Bruttolizenzeinnahmen durch solche Lizenzierungen (unter Zuordnung zu dem jeweiligen Lizenznehmer) sie jeweils erzielt hat.
3. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, von Ordnungshaft oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000 EUR, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), künftig
zu unterlassen,
die unter Nr. 1 bezeichneten Werke oder Teile davon zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten oder vervielfältigen oder verbreiten zu lassen oder durch Lizenzierung zu verwerten.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Unterlassungsanspruches und des Auskunftsanspruchsanspruchs durch Sicherheitsleistung i.H.v. jeweils 3.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Vollstreckung des Kostenerstattungsanspruches kann der Kläger durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht geltend, einziger Erbe des unter dem Pseudonym E. D. schreibenden russischen Autors E. J. (K. L.) zu sein. Er nimmt die beklagte Verlegerin wegen urheberrechtswidriger Vervielfältigung und Verbreitung von Werken dieses Autors in Anspruch.
D., der von absurder Komik geprägte Prosatexte, Gedichte und Theaterstücke verfasste und Mitglied der avantgardistischen Schriftstellervereinigung "Oberiu" war, lebte und arbeitete in Leningrad (St. Petersburg). Unter Stalin konnte er bis auf einige Werke für Kinder nichts veröffentlichen. Er wurde mehrmals verhaftet und starb Anfang 1942 mit 36 Jahren während der deutschen Belagerung Leningrads im Gefängnis oder in einer psychiatrischen Klinik. Kurz nach seinem Tod übergab seine Frau N. O. (Q.), deren Sohn aus einer späteren Ehe der Kläger ist, zusammen mit seiner Schwester seinem Freund P. F. in einer zerstörten Leiningrader Wohnung die von ihm hinterlassenen Manuskripte. Verbreitet wurden D.'Werke in der Sowjetunion und im Ausland erst nach der kulturellen "Tauwetter"-Periode ab 1956; die Beklagte behauptet, seine 1960 erfolgte Rehabilitierung sei später für ungültig oder gegenstandslos erklärt worden. Seit 1983 wurden einige seiner ins Deutsche übersetzten Werke von der Beklagten verlegt. Ihr anwaltlicher Berater und ein für den B. Verlag in Zürich erstelltes Gutachten hatten D.'s Werke als gemeinfrei angesehen. Die Mutter des Klägers wurde 1997 in Venezuela, wo sie inzwischen lebte, von den Literaturwissenschaftlern X. H. (I.) und R. S. (U.) aufgesucht. Nach ihrem Tod 2002 sprach die Agentin W. V. bei der Leipziger Buchmesse 2003 die Beklagte darauf an, dass Frau O. Rechte an D.'s Werken zugestanden haben könnten. Seit 2004 ist Frau V. für den Kläger tätig.
Mit seiner am 20.12.2007 eingereichten und am 9.1.2008 zugestellten Stufenklage begehrt der Kläger vorbereitende Auskunft, Schadensersatz sowie Unterlassung der Vervielfältigung und Verbreitung der bei der Beklagten erschienenen Bücher (in Klammer...