Entscheidungsstichwort (Thema)
Sicherheitsaufklärung bei Anzeichen einer Neugeborenengelbsucht
Leitsatz (amtlich)
1. Stehen die Angaben der Mutter eines Säuglings zum Trinkverhalten ihres Kindes in Einklang mit dem klinischen Befund, darf ein Arzt grundsätzlich auf deren Richtigkeit vertrauen und muss sie nicht weiter hinterfragen.
2. Leidet ein neugeborenes Kind an einer schweren Neugeborenengelbsucht und ist deshalb eine umgehende Einweisung in ein Krankenhaus erforderlich, ist es für die gebotene dringliche Sicherungsaufklärung ausreichend, wenn der Arzt erklärt, dass das Kind jetzt ein Krankenhaus brauche, er der Mutter eine Krankenhauseinweisung mitgibt und ihr den Weg in die Kinderklinik erklärt.
Normenkette
BGB §§ 249, 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 07.05.2014; Aktenzeichen 25 O 539/09) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Köln vom 7.5.2014 - 25 O 539/09 - wird zurückgewiesen.
Die Streithelferin der Klägerin trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das vorliegende Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin wurde am 24.10.2003 als erstes Kind ihrer Eltern in der 38. Schwangerschaftswoche im Krankenhaus I geboren. Mutter und Kind wurden am Folgetag aus dem Krankenhaus entlassen. Der Beklagte, ein niedergelassener Kinderarzt, führte am Abend des 28.10.2003 die Vorsorgeuntersuchung U 2 durch. Er stellte eine Gelbfärbung der Haut der Klägerin fest und bestellte sie für den nächsten Morgen in seine Praxis zur Blutuntersuchung ein. Am Morgen des 29.10.2003 erschien die Mutter der Klägerin mit der Klägerin in der Praxis des Beklagten. Der Beklagte nahm der Klägerin Blut ab. Ob er der Mutter der Klägerin den dringenden Rat erteilte, sofort ein Krankenhaus aufzusuchen, ist zwischen den Parteien streitig. Die Mutter der Klägerin fuhr mit der Klägerin nicht sofort ins Krankenhaus. Erst auf dringendes Anraten der versorgenden Hebamme, die am Vormittag des 29.10.2003 der Klägerin einen Hausbesuch abgestattet hatte, brachte die Mutter die Klägerin in das Kinderkrankenhaus B in L. Die Klägerin wurde um 13:45 Uhr stationär aufgenommen. Der Bilirubinwert betrug bei Aufnahme 33,6 mg/dl. Die Klägerin erhielt zunächst eine Fototherapie. Am Abend des 29.10.2003 wurde eine Blutaustauschtransfusion durchgeführt. Die Klägerin musste in den Folgetagen mehrere Tage maschinell beatmet werden. Sie wurde am 5.12.2003 u.a. mit den Diagnosen "Bilirubin-Enzephalopathie, Kernikterus, Enteritis durch Rotaviren, Rezidivierende Apnoeanfälle, Respiratorische Insuffizienz, Klavikulafraktur rechts" aus der stationären Behandlung entlassen.
Die Klägerin ist schwerbehindert. Sie leidet unter einer dyskinetischen, hypotonen Cerebralparese, einer spastischen Tetraparese, einer Sprachentwicklungsstörung und einer Schluckstörung. Sie konnte bislang nur lautieren und hat erst kürzlich die ersten Worte gesprochen. Die Klägerin ist in ihrer Bewegungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Sie kann lediglich mit einer Gehhilfe und nur in Geradeausrichtung gehen.
Die Klägerin hat behauptet, ihre Mutter habe bereits am Montag, den 27.10.2003 in der Kinderarztpraxis des Beklagten angerufen und dort mitgeteilt, dass bei ihr die Milchbildung noch nicht eingesetzt habe. Ihr sei von einer Arzthelferin ein Rückruf des Beklagten zugesagt worden, der dann - insoweit unstreitig - nicht erfolgt sei. Ihre Mutter habe am Dienstagmorgen erneut in der Praxis angerufen und habe geschildert, dass es der Klägerin schlechter gegangen sei und sie die Nahrung verweigere. Als der Beklagte abends zur Vorsorgeuntersuchung zu ihr nach Hause gekommen sei, habe ihm die Mutter ihre Sorge darüber berichtet, dass die Milchbildung noch nicht eingesetzt habe und die Klägerin auch keine Flaschenmilch mehr getrunken habe. Am nächsten Morgen habe der Beklagte, nachdem er der Klägerin Blut abgenommen habe, sie wieder nach Hause geschickt mit der Maßgabe, es solle zunächst das Ergebnis der Blutuntersuchung abgewartet werden. Eine Krankenauseinweisung sei der Mutter nicht mitgegeben worden. Die Klägerin hat dem Beklagten vorgeworfen, nicht rechtzeitig reagiert zu haben. Sie hat behauptet, sie sei infolge der Versäumnisse des Beklagten schwerstbehindert und werde sich absehbar nicht selbst versorgen können, sondern sei auf Hilfe rund um die Uhr angewiesen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass der Beklagte dazu verpflichtet ist, ihr den gesamten vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen materiellen und immateriellen durch die unterlassene und fehlerhafte Behandlung in der Zeit vom 27. bis zum 29.10.2003 entstandenen Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversi...