Leitsatz (amtlich)
Für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit einer Gesundheitssandale als eines Werkes der angewandten Kunst genügt es nicht, dass ein in technisch-funktionaler Hinsicht bestehender Gestaltungsspielraum ausgenutzt worden ist; erforderlich ist vielmehr, dass der bestehende Spielraum über die durch die Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch ausgestaltet wird.
Normenkette
UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 14 O 121/22) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11.05.2023 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 14 O 121/22 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden der Klägerin auferlegt.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Urheberrechtsschutz für Sandalenmodelle. Die Klägerin ist Teil der Birkenstock-Gruppe. Sie vertreibt u.a. die Sandalenmodelle Arizona und Gizeh, die derzeit folgendes Aussehen haben:
((Abbildung))
Arizona
((Abbildung))
Gizeh.
Die Beklagte stellte als Lizenznehmerin der t. GmbH & Co. KG für die Marke "t." folgende über das Internet vertriebene Sandalenmodelle her:
((Abbildungen))
Die Klägerin sieht hierin eine Verletzung ihr zustehender Urheberrechte.
Die Klägerin hat vorgetragen, dass Karl Birkenstock die Modelle Arizona und Gizeh alleine geschaffen habe, einschließlich der seit dem Jahr 1981 verwendeten Knochenmustersohle. Das Modell Gizeh sei seit seinem Markteintritt im Jahr 1983 unverändert geblieben. Das Modell Arizona sei seit seinem Markteintritt im Jahr 1973 lediglich minimal und in für die urheberrechtliche Beurteilung unerheblichen Details (Sohle, Schnalle) durch Karl Birkenstock selbst angepasst worden. Sie sei Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an den beiden Sandalenmodellen, nachdem Karl Birkenstock die Rechte der C.B. Orthopädie, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Carl Birkenstock) als eine ihrer Rechtsvorgängerinnen übertragen habe. Die streitbefangenen Schuhmodelle seien urheberrechtlich geschützte Werke. Dies hat die Klägerin näher ausgeführt, unter Berufung auf mehrere Gutachten historischer, designbezogener und juristischer Herkunft. Bei der Gestaltung insbesondere der Sohlenform, beim nicht verblendeten Sohlenschnitt und bei der Materialwahl bestünden zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten, die Karl Birkenstock individuell ausgefüllt habe, so dass daraus ein ikonisches, brutalistisches, typisches Design entstanden sei.
Die Beklagte hat den Vortrag der Klägerin zur vermeintlichen Urheberschaft von Karl Birkenstock als unsubstantiiert gerügt. Es fehle jeglicher Vortrag, wie die Entwicklung der Sandalenmodelle abgelaufen sei. An der Entwicklung der Modelle Arizona und Gizeh, die im Laufe der Zeit Änderungen erfahren hätten, das Modell Arizona tatsächlich sehr viele, seien offensichtlich noch weitere Personen beteiligt gewesen. Bei beiden Sandalen fehle die für die Annahme eines Kunstwerks erforderliche künstlerische Auswahlentscheidung. Sämtliche Merkmale, die den ästhetischen Gesamteindruck prägen sollten, seien vorbekannt und folgten - gemäß der eigenen Außendarstellung von Birkenstock - ausschließlich orthopädischen bzw. schuhtechnischen Überlegungen. Dies führt die Beklagte näher aus, auch unter Berufung auf verschiedene private Fach- und Rechtsgutachten. Selbst wenn man Urheberrechtsschutz bejahen würde, wären die auf die Vergangenheit gerichteten Nebenansprüche auf Auskunft und Schadensersatz verwirkt, weil die Klägerin identische Nachahmungen jahrelang geduldet habe.
Mit Urteil vom 11.05.2023, auf das wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen einschließlich der erstinstanzlich gestellten Anträge gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte wegen Urheberrechtsverletzung zur Unterlassung des Vertriebs der beiden streitbefangenen Vervielfältigungsstücke verpflichtet. Außerdem hat die Kammer den Klageanträgen auf Auskunftserteilung, Schadensersatzfeststellung, Vernichtung/Rückruf und Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten stattgegeben. Den Antrag auf Versicherung der Vollständigkeit und Richtigkeit der zu erteilenden Auskunft hat das Landgericht abgewiesen. Die Kammer sah es aufgrund der vorgelegten Indizien als erwiesen an, dass die streitbefangenen Modelle auf alleinige Schöpfungen durch Karl Birkenstock zurückgehen und alle damit zusammenhängenden Immaterialgüterrechte über eine Kette von Übertragungsvorgängen auf die Klägerin übergegangen sind. Sie hat beiden Modellen Werkschutz auf Basis des unionsrechtlichen Werkbegriffs zuerkannt und die freie kreative Ausnutzung eines schöpferischen Gestaltungsspielraums bejaht. Hierfür sei weder eine überdu...