Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufklärungspflicht bei Wirbelsäulenoperation
Leitsatz (amtlich)
1. Vor einer Wirbelsäulen-Operation zur Korrektur einer Skoliose ist insbesondere über das Risiko einer Querschnittslähmung aufzuklären.
2. Zur Frage eines schlüssig dargelegten Entscheidungskonflikts bei einer Wirbelsäulen-Operation zur Skoliosekorrektur bei einem 13-jährigen Kind.
3. Ein Schmerzensgeld von 70.000 EUR ist gerechtfertigt, wenn bei einer 13-jährigen Patientin als Folge einer rechtswidrigen Wirbelsäulenoperation eine Querschnittsproblematik eintritt mit zeitweiliger Paraplegie, zeitweiliger vollständiger Blasen- und Mastdarmlähmung, monatelangen stationären Aufenthalten, langwierigen Rehabilitationsmaßnahmen sowie dauerhaft fortbestehenden erheblichen Gehbehinderungen und Blasen- und Mastdarmstörungen.
Normenkette
BGB §§ 253, 280, 611, 823
Verfahrensgang
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 18.2.2011 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des LG Bonn - 9 O 192/09 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden den Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die am 14.8.1992 geborene Klägerin litt seit ihrem siebten Lebensjahr an eine Skoliose. Im Dezember 2004 wurde die Klägerin mit einem Korsett versorgt, welches sie nicht durchgehend trug. Am 19.10.2005 stellte sie sich im Krankenhaus der Beklagten zu 1) bei dem Beklagten zu 2) vor und vereinbarte einen Operationstermin zur Korrektur der Wirbelsäulenverkrümmung. Nach stationärer Aufnahme erfolgte am 28.3.2006 ein Aufklärungsgespräch zwischen dem Beklagten zu 2) sowie der Klägerin und deren Mutter, die daraufhin eine Einverständniserklärung unterzeichneten. Der Beklagte zu 2) führte den Eingriff am 30.3.2006 zwischen 9.20 und 14.40 Uhr durch. Er brachte zwischen den Wirbelkörpern Th 2 und L2 mittels Pedikelschrauben eine Instrumentation ein und korrigierte damit den Skoliose-Winkel. Nach dem Aufwachen aus der Narkose konnte die Klägerin die Beine nicht bewegen und reagierte nicht auf Schmerzreize. In der ab 15.00 Uhr durchgeführten Revisionsoperation baute der Beklagte zu 2) bis auf die kaudalen Schrauben bei L2 die gesamte Instrumentation aus. Die Korrektur der Skoliose wurde dadurch aufgehoben. Postoperativ bestand eine Lähmung der Beine sowie eine Blasen- und Mastdarmlähmung. Eine Computertomografie und eine Magnetresonanztomografie wurden am 31.3.2006 und 3.4.2006 durchgeführt.
Während der nachfolgenden Aufenthalte der Klägerin in der Neurologischen Rehabilitationsklinik D. (10.4.2006 bis 19.4.2006) und der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik G. (19.4.2006 bis 27.7.2006) besserte sich die Symptomatik. Die Klägerin kann ohne fremde Hilfe gehen und kürzere Wegstrecken zurücklegen. Die Blasen- und Mastdarmentleerungsstörungen bestehen fort, wenn auch nicht mehr im ursprünglichen Ausmaß. Am 22.10.2008 wurde die Skoliose in der X-X-Klinik, Y, erneut operativ korrigiert. Der Eingriff verlief erfolgreich.
Die Klägerin hat den Beklagten vorgeworfen, die Rückenmarksverletzung durch ein fehlerhaftes Vorgehen verursacht zu haben. Der Beklagte zu 2) habe eine zu starke Korrektur des Skoliosewinkels vorgenommen. Über die Gefahr einer Querschnittslähmung sei sie nicht aufgeklärt worden.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch i.H.v. 100.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.8.2008,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 1.986,60 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.8.2008 zu zahlen,
3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche ihr aus der fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom 27.3.2006 bis 10.4.2006 in der Einrichtung der Beklagten zu 1) entstanden sind und noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden,
4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen an sie 4.051,95 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.8.2008 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen bestritten. Der Beklagte zu 2) habe die Klägerin und deren Mutter am 28.3.2006 umfassend aufgeklärt. Er habe die Indikation zur operativen Korrektur der Skoliose nochmals dargelegt und auf die konservativen Behandlungen mit Hilfe eines Korsetts verwiesen. A...