Leitsatz (amtlich)
1. Zur Deliktshaftung aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung bei Inverkehrbringen eines Kraftfahrzeuges mit einer unerlaubten Abschalteinrichtung.
2. Von einer sittenwidrigen Schädigung kann nicht mehr ausgegangen werden, wenn der Erwerb des Fahrzeuges mehrere Monate nach dem Bekanntwerden des sog. "Abgasskan-dals" erfolgt. Auf die Kenntnis des Erwerbers kommt es dabei nicht an.
Normenkette
BGB §§ 249 ff, 826, 849; ZPO §§ 92, 291
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 02. Oktober 2019 - 10 O 206/19 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. 1. Der Kläger erwarb am 30. August 2016 bei der Firma Z einen gebrauchten PKW Typ A mit einem Kilometerstand von 100.000 Km zum Preis von EUR 12.900,00. Das Fahrzeug, das am Tag der mündlichen Verhandlung erster Instanz einen Kilometerstand von 170.000 Km und am Tag der Verhandlung vor dem Senat von 181.887 Km auswies, ist mit einem Dieselmotor des Typs K ausgestattet, der von der Beklagten entwickelt und hergestellt worden ist. Dieser Motor steht in Verbindung mit einer Software, welche die Stickstoff-Emissionswerte im behördlichen Prüfverfahren optimiert. Das Motorsteuerungsgerät ermöglicht insoweit zwei Betriebsmodi zur Steuerung der Abgasrückführung: einen Stickstoff-optimierten Modus 1 mit einer relativ hohen Abgasrückführungsrate und dadurch reduziertem Schadstoffausstoß sowie einen Partikel-optimierten-Modus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer ist. Die Software des Motorsteuerungsgerätes erkennt, ob sich das Fahrzeug im üblichen Straßenverkehr oder auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte befindet. Während des Prüfstandtests betreibt die eingebaute Software den Motor im Modus 1, wodurch geringere Stickoxidwerte (NOx) erzielt und die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte wie auch die nach der Euro-5-Abgasnorm vorgegebenen NOx-Grenzwerte eingehalten werden. Unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr wird das Fahrzeug hingegen im Abgasrückführungs-Modus 0 betrieben.
Dieser Umstand wurde von der Beklagten erstmals im Rahmen einer Ad-hoc-Mitteilung gemäß § 15 WpHG am 22. September 2015 eingeräumt, die folgenden Inhalt hatte:
"M treibt die Aufklärung von Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren mit Hochdruck voran. [...] Weitere bisherige interne Prüfungen haben ergeben, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des M Konzerns vorhanden ist. [...] Auffällig sind Fahrzeuge mit Motoren vom Typ K mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen. Ausschließlich bei diesem Motortyp wurde eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt. M arbeitet mit Hochdruck daran, diese Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen. [...]".
Am selben Tag informierte der Vorstandsvorsitzende der Beklagten hierüber in einer Pressekonferenz. Anfang Oktober 2015 erfolgte dann eine Information des Händlernetzes, das angewiesen wurde, sämtliche Gebrauchtwagenkäufer über die Motorsteuerungssoftware aufzuklären. Die Beklagte richtete weiterhin eine Internetseite ein, auf der anhand der Fahrzeugidentifikationsnummer ermittelt werden konnte, ob ein Fahrzeug von der Problematik betroffen ist. Hierüber informierte die Beklagte in einer Pressemitteilung vom 2. Oktober 2015. Dies war weiterhin Gegenstand einer umfassenden Berichterstattung in zahlreichen Medien.
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2015 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) sodann den Rückruf aller betroffenen Fahrzeuge wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung an. Sie verpflichtete die Beklagte, bei allen betroffenen Fahrzeugen die unzulässigen Abschaltvorrichtungen zu entfernen und nachzuweisen, dass damit alle gesetzlich geforderten technischen Anforderungen erfüllt werden. Auch hierüber informierte die Beklagte in einer Pressemitteilung vom selben Tage. Desweiteren kündigte sie Mitte Dezember öffentlich an, die Rückrufaktion im Januar 2016 zu starten und schrieb ab Februar alle betroffenen Halter an und informierte sie über die anstehende Rückrufaktion und deren Umsetzung durch Aufspielen eines kostenlosen Software-Updates. Der gesamte sogenannte Abgasskandal war seit Herbst 2015 Gegenstand einer ausführlichen und umfangreichen Medienberichterstattung.
Unterdessen prüfte das KBA den von der Beklagten vorgelegten Maßnahmenplan und gab zeitlich gestaffelt die auf den jeweiligen Fahrzeugtyp abgestimmten Software-Updates frei. Der Kläger wurde nach Genehmigung durch das KBA über das Bereitstehen der Software-Lösung informiert und ließ die technische Maßnahme am 6. Dezember 2016 durchführen. Auch ohne das Software-Update war der streitgegenständliche Wagen fahrbereit und verkehrssicher. Zudem wurde die EG-Typengenehmigung nicht entzogen, wenngleich da...