Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufklärung - Plausibilität des Entscheidungskonflikts
Leitsatz (amtlich)
Ergibt der kernspintomografische Befund im Eingang des Beckens links eine Raumforderung (Tumor) mit auffälliger Verbindung zum Neuroforamen L 4 links, ist der Patient vor der operativen Entfernung des Tumors über das Risiko einer Verletzung des Nervus femoralis aufzuklären.
Macht der geschädigte Patient glaubhaft, er hätte sich in Kenntnis des besonderen Risikos einer Nervverletzung von einem Neurochirurgen (statt des Urologen) operieren lassen, ist der Entscheidungskonflikt auch dann plausibel, wenn die Operation auch in das Fachgebiet des operierenden Urologen fällt und jener auf seinem Fachgebiet als allseits anerkannte Kapazität gilt.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 15.08.2007; Aktenzeichen 25 O 326/01) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 15.8.2007 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 326/01 - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin einen Schmerzensgeldbetrag von 25.000 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 1.3.2001 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin jeglichen materiellen sowie künftigen immateriellen Schaden - letzterer, soweit dieser nicht durch den Klageantrag zu 1) erfasst ist - aus der medizinischen Behandlung vom 11.12.1998 vorbehaltlich eines Forderungsübergangs auf Dritte gesamtschuldnerisch zu ersetzen.
Wegen der Zinsmehrforderung wird die Klage abgewiesen
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Hausarzt der am 27.7.1959 geborenen Klägerin fand bei ihr im Oktober 1998 anlässlich einer sonografischen Untersuchung eine gewebliche Veränderung im hinteren linken Bauchraum. Die computertomografische Untersuchung vom 6.11.1998 ergab eine 8 × 4 cm große retroperitoneale Raumforderung. Die kernspintomografische Untersuchung vom 15.11.1998 bestätigte den Befund einer Raumforderung im Eingang des Beckens links und zeigte eine auffällige Verbindung zum Neuroforamen L4 links.
Die Klägerin wandte sich daraufhin an den Beklagten zu 1), den leitenden Arzt der urologischen Klinik des Krankenhauses der Beklagten zu 2), der nach weiteren Untersuchungen eine chirurgische Exploration sowie gegebenenfalls eine Entfernung des Tumors empfahl. Am 10.12.1998 wurde die Klägerin stationär aufgenommen. Die Einverständniserklärung enthielt die Diagnose "Retroperitonealer Tumor" und führte als Risiken die Verletzung von Nachbarorganen, Blutungen und Infektionen an. Während der am 11.12.1998 vom Beklagten zu 1) durchgeführten Operation stellte sich heraus, dass der Tumor von einer festen Kapsel überzogen war, die vom fächerförmig aufgesplitterten Nervus femoralis bedeckt wurde. Der Beklagte zu 1) setzte die Entfernung des Tumors mit dem Ziel fort, den Nervus femoralis weitgehend zu schonen. Eine neurologische Konsiluntersuchung ergab am 15.12.1998 die Diagnose einer Läsion des Nervus femoralis links. Am 18.12.1998 wurde die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen. In der abschließenden histologischen Untersuchung stellte sich der Tumor als Neurofibrom dar.
Die Klägerin, die seit dem Eingriff in der Bewegungsfähigkeit und Stabilität des linken Beins, vor allem des Knies, beeinträchtigt ist, nimmt die Beklagten auf Schmerzensgeld in Anspruch und begehrt die Feststellung ihrer Ersatzpflicht. Sie hält ein Schmerzensgeld von 50.000 DM (25.565 EUR) für angemessen. Die Klägerin hat den Beklagten Behandlungsfehler und eine unzureichende Risikoaufklärung vorgeworfen. Vor dem Eingriff sei eine Nadelbiopsie erforderlich gewesen, die, da es sich nicht um einen bösartigen Tumor gehandelt habe, zu der Erkenntnis geführt hätte, dass eine Operation nicht indiziert gewesen sei. Ferner habe der Beklagte zu 1), weil aus den erhobenen Befunden eine Verbindung des Tumors zum Nerven erkennbar gewesen sei, einen Neurochirurgen schon zu Beginn der Operation hinzuziehen müssen. Jedenfalls sei die Hinzuziehung eines Neurochirurgen während der Operation veranlasst gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 5 % Jahreszinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 1.3.2001 gesamtschuldnerisch zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin jeglichen materiellen sowie künftigen immateriellen Schaden - letzterer, soweit dieser nicht durch den Antrag zu 1) erfasst ist - aus der medizinischen Fehlbehandlung vom 11.12.1998 vor...