Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsatz fachgleicher Begutachtung bei unterlassener Befunderhebung
Leitsatz (amtlich)
Es stellt keine fehlerhafte Sachverständigenauswahl dar, wenn sich der (für die Frage des Behandlungsfehlers richtige) internistische Sachverständige mit Schwerpunkt Intensivmedizin, der eine unterlassene Befunderhebung bejaht hat, die auch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Entdeckung einer kleinen Hirnblutung geführt hätte, auch zu der (eigentlich das neurologische bzw. neurochirurgische Fachgebiet berührenden) Frage äußert, ob und in welcher Weise sich dieser Befund als reaktionspflichtig dargestellt hätte. Dies gilt insbesondere, wenn die Feststellung, dass eine abwartende und beobachtende Therapie gewählt worden wäre, in Einklang steht mit einer entsprechenden Leitlinie und diese Art der Therapie auch von späteren (neurologischen) Behandlern so gewählt wurde, ohne dass konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass deren Vorgehen fehlerhaft gewesen wäre.
Normenkette
BGB § § 249, §§ 253, 280, 611, 823; ZPO § 404
Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 10.12.2014; Aktenzeichen 11 O 213/13) |
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das am 10.12.2014 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Aachen - 11 O 213/13 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden den Klägern auferlegt.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Kläger nehmen die Beklagten als Erben ihres am 00.00.1945 geborenen und am 27.7.2011 verstorbenen Ehemanns und Vaters aus ererbtem Recht auf ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 25.000 EUR, Ersatz von Haushaltsführungsschaden von 7.478,25 EUR, eine Kostenpauschale von 30 EUR und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch. Sie haben ihnen im Wesentlichen vorgeworfen, dass sie, nachdem der Patient am 30.3.2008 mit Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen durch den Notarzt in das Krankenhaus der Beklagten zu 1) eingeliefert und noch am gleichen Tag eine als unauffällig befundete Computertomografie des Schädels durchgeführt worden sei, während des bis zum 19.4.2008 dauernden stationären Aufenthalts keine weitere bildgebende Diagnostik vorgenommen hätten, weshalb der Patient lediglich wegen der bekannten Herzerkrankung behandelt, die erst am 23.4.2008 festgestellte Hirnblutung übersehen und diese nicht operativ angegangen worden sei.
Wegen des Vorbringens der Parteien in erster Instanz, der gestellten Anträge und der vom LG durchgeführten Beweisaufnahme wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe ebenfalls verwiesen wird, hat das LG die Klage abgewiesen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Berufung, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgen. Das LG sei zwar von einem Befunderhebungsfehler, aber auch davon ausgegangen, dass im Falle einer früheren Diagnose der Hirnblutung keine andere als die eingeleitete konservative Therapie erfolgt wäre. Die Frage nach der medizinisch gebotenen Reaktion falle indessen nicht in das internistische Fachgebiet der Sachverständigen Prof. Dr. I, weshalb ein neurochirurgisches oder neurologisches Zusatzgutachten einzuholen sei. Außerdem habe das Unterlassen weiterer bildgebender Diagnostik einen groben Behandlungsfehler dargestellt. Bei dem Patienten habe eine schwere Symptomatik vorgelegen, die ein operatives Vorgehen erfordert habe. Der Eingriff vom 8.5.2008 im Universitätsklinikum E habe nicht nur diagnostischen, sondern auch therapeutischen Zwecken gedient.
II. Die Berufung ist unbegründet.
Die Kläger können von den Beklagten wegen der vom 30.3.2008 bis 19.4.2008 erfolgten Behandlung ihres Ehemanns und Vaters (im Folgenden: Patient) aus ererbtem Recht gemäß §§ 280 Abs. 1, 831 Abs. 1, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2, 1922 BGB weder die Zahlung von Schmerzensgeld noch materiellen Schadensersatz verlangen. Das LG hat schadensursächliche Behandlungsfehler nach Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. I in nicht zu beanstandender Weise verneint.
1. Nach den Ausführungen von Prof. Dr. I war nach dem 30.3.2008 eine Wiederholung der an diesem Tag durchgeführten Computertomografie oder eine Magnetresonanztomografie angezeigt.
Dies hat sie schlüssig damit begründet, dass eine Computertomografie, wie sie nach der Einlieferung des Patienten durch den Notarzt vorgenommen und als unauffällig befundet worden sei, zwar eine Sensitivität von 100 % hinsichtlich einer Hirnblutung habe, aber einen ischämischen Insult in einem frühen Stadium nicht immer zeige. Gleichzeitig habe die bei Aufnahme bestehende klinische Symptomatik mit Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen...