Entscheidungsstichwort (Thema)

"Vollstreckungsverzicht im Eilverfahren"

 

Leitsatz (amtlich)

Ein bald nach Erlass einer einstweiligen Verfügung von dem Gläubiger im Hinblick auf Vergleichsverhandlungen erklärtes Einverständnis, "bis zu einer Entscheidung des Verfügungsverfahrens" auf die Zwangsvollstreckung aus dem Titel zu verzichten, beseitigt die Dringlichkeitsvermutung jedenfalls dann, wenn in den nachfolgenden Monaten konkrete und mit zeitlichen Limits zur Beantwortung versehene Vorschläge zur Beilegung des Rechtsstreits nicht unterbreitet werden (Abgrenzung zu OLG Karlsruhe WRP 1986, 232, 234).

 

Normenkette

UWG § 12 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 21.10.2009; Aktenzeichen 84 O 43/09)

 

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 21.10.2009 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des LG Köln (84 O 43/09) abgeändert. Der Verfügungsbeschluss des LG vom 27.3.2009 wird aufgehoben und der auf seinen Erlass gerichtete Antrag abgewiesen.

Die Kosten des Verfügungsverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin ist Inhaberin einer mit Schutzwirkung u.a. für Deutschland unter der Register-Nr. 797277 international registrierten Wort-Bildmarke mit dem Wortbestandteil "HOT". Sie nimmt die Antragsgegnerin auf Unterlassung der Bezeichnung "HOT" für Duftwässer in einer bestimmten konkreten Verletzungsform in Anspruch.

Das LG hat im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung erlassen und diese im Widerspruchsverfahren bestätigt. Ungeachtet dessen vertreibt die Antragsgegnerin die Duftwässer mit der beanstandeten Kennzeichnung weiter.

Mit der Berufung stellt die Antragsgegnerin weiter den Verfügungsanspruch in Abrede und rügt darüber hinaus den Verlust der Dringlichkeit, der u.a. dadurch eingetreten sei, dass die Antragstellerin nach Erlangung der einstweiligen Verfügung von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen und zeitweilig auf diese sogar ausdrücklich verzichtet habe. Die Antragstellerin verteidigt das Urteil und meint, das Absehen von Vollstreckungsmaßnahmen sei nicht dringlichkeitsschädlich, weil es ihr darum gegangen sei, unter Einbeziehung eines weiteren Verfahrens mit umgekehrtem Rubrum eine gütliche Einigung herbeizuführen, und sie dieses Ziel nicht durch Vollstreckungsmaßnahmen habe gefährden wollen.

II. Die Berufung ist zulässig und begründet. Der Senat hat sich nicht mit der Frage zu befassen, ob der geltend gemachte Verfügungsanspruch besteht, weil es bereits am Verfügungsgrund der Dringlichkeit fehlt.

Dabei kann dahinstehen, ob die Antragstellerin den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung innerhalb der zu wahrenden Dringlichkeitsfrist gestellt hat. Denn jedenfalls ist die Dringlichkeit durch das Verhalten der Antragstellerin nach Erlass der einstweiligen Verfügung wieder entfallen.

Es ist allgemein anerkannt, dass eine ursprünglich bestehende Dringlichkeit durch zögerliches Verhalten des Antragstellers im gerichtlichen Verfahren wieder entfallen kann (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 12 Rz. 3.1.6; Harte/Henning/Retzer, UWG, 2. Aufl., § 12 Rz. 321, jeweils mit weiteren Nachweisen). In der Literatur wird darüber hinaus als dringlichkeitsschädlich auch die Fallgestaltung angesehen, dass der Antragsteller zunächst eine einstweilige Verfügung erwirkt, von dieser dann aber trotz fortgesetzter Verstöße des Antragsgegners keinen Gebrauch macht (vgl. Fezer/Büscher, UWG, § 12 Rz. 64 a.E.; Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl., Rz. 89 a.E.; MünchKomm/UWG-Schlingloff, § 12 Rz. 404; Götting/Nordemann/Kaiser, UWG, § 12 Rz. 171). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an, auf ihrer Grundlage ist die Dringlichkeit im vorliegenden Verfahren entfallen.

Das auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichtete Eilverfahren dient dazu, dem Antragsteller, der durch das Hauptsacheverfahren hinlänglichen Rechtsschutz nicht rechtzeitig erlangen könnte, im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes schnell einen Titel zu verschaffen. Das Verfahren ist nur zulässig, wenn ein Verfügungsgrund besteht, die Erlangung eines Titels also für den Antragsteller dringlich ist. Fehlt es an der Dringlichkeit, so ist der Antragsteller auf das Klageverfahren verwiesen. Der Antragsteller hat danach sowohl bis zur Antragstellung als auch im nachfolgenden Verfahren bis zum Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung die an die Wahrung der Dringlichkeit zu stellenden Anforderungen zu erfüllen. Im Einzelfall kann sich auch noch im Nachhinein, also nach Erlass der einstweiligen Verfügung, erweisen, dass es an der Dringlichkeit fehlt. Das ist insbesondere in der vorliegenden Fallgestaltung, nämlich dann regelmäßig der Fall, wenn der Antragsteller sich zwar eine einstweilige Verfügung verschafft hat, von dieser anschließend aber keinen Gebrauch macht, obwohl der Antragsgegner sich von der Verfügung unbeeindruckt zeigt und das beanstandete Verhalten fortsetzt. Dem Antragsteller steht das Eilverfahren nur deswegen zur Verfügung, weil er seine Rechte im Klageverfahren nic...

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