Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufklärungspflicht über Behandlungsalternativen bei minimalinvasiven Leistenhernien-Operationen
Leitsatz (amtlich)
Eine Aufklärungspflicht über die unterschiedlichen Möglichkeiten der Vorgehensweise bei der Operation von Leistenhernien (hier durch Netzeinbringung zwischen Bauchdecke und Bauchfell - TEP-Verfahren - oder innerhalb der Bauchhöhle - TAPP-Verfahren) ist im Hinblick auf die erheblich unterschiedlichen Risiken beider Verfahren nicht von vornherein wegen der grundsätzlich freien Methodenwahl des Arztes zu verneinen. Ergeben allerdings die Gesamtumstände des konkreten Falles (hier durch die Situation aufgrund von Vor-Operationen, Lösen von Verwachsungen) einen eindeutigen Vorteil des TAPP-Verfahrens, so entfällt die Aufklärungspflicht über Behandlungsalternativen, weil es an der Gleichwertigkeit der Chancen und Risiken beider Verfahren fehlt.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 25 O 430/13) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 09.12.2015 - 25 O 430/13 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger unterzog sich am 08.09.2009 bei Diagnose einer Hernia incipiens in der rechten Leiste einer laparoskopischen Operation im Hause der Beklagten zu 1) (im Folgenden: die Beklagte). Bei der Operation wurde das sog TAPP-Verfahren (totale peritoneale Patch Plastik) angewendet, bei dem mittels Laparoskop in die Bauchhöhle eingedrungen und die Bruchlücke mit einem Kunststoffnetz abgedeckt wird. Der Kläger war bereits einige Jahre zuvor mehrfach wegen einer Hernie in der linken Leiste operiert worden. Bei dem Eingriff im Krankenhaus der Beklagten wurden im Bereich der voroperierten linken Leiste Verwachsungen des bei der Voroperation eingebrachten Netzes mit dem Sigma festgestellt. Die Netzadhäsionen wurden durch den Operateur vollständig gelöst. Im Operationsbericht wird erwähnt, dass ein Netz über der Bruchlücke eingebracht wurde.
Nach Entlassung aus der stationären Behandlung am 11.09.2009 begab sich der Kläger zwei Tage später wegen abdominellen Beschwerden in das von der Beklagten zu 2) betriebene Krankenhaus. Am 16.09.2009 erfolgte dort ein operativer Eingriff, bei dem eine Perforation des Sigmas mit lokalisierter Peritonitis und Abszess festgestellt wurde. Das Sigma wurde entfernt und ein Anus praeter gelegt. Der künstliche Darmausgang wurde am 24.02.2010 zurückverlegt.
Der Kläger hat der Beklagten Behandlungs- und Aufklärungsfehler vorgeworfen. Die Operation am 08.09.2009 sei fehlerhaft durchgeführt worden. Trotz auffälliger Blutwerte sei er verfrüht entlassen worden. Über alternative Operationsverfahren und die unterschiedlichen Chancen und Risiken dieser Verfahren sei er nicht aufgeklärt worden.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 35.000 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2012, zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihm sämtlichen vergangenen und zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der fehlerhaften Behandlung durch die Beklagten entstanden ist und noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden;
3. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, ihm vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 4431,56 EUR brutto nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu erstatten.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat eine ordnungsgemäße Aufklärung behauptet. Dem Kläger seien sämtliche denkbaren Operationsverfahren erläutert worden.
Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 317 ff d.A.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Gutachtens von Prof. Dr. F (schriftliches Gutachten vom 06.11.2014, Bl. 87 ff. d.A.), welches der Sachverständige mündlich erläutert hat (Sitzungsprotokoll vom 09.09.2015, Bl. 163 ff. d.A.), sowie durch Vernehmung der Zeugen Dr. N, Dr. T und Dr. C. Anschließend hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe Behandlungsfehler der Beklagten nicht bewiesen. Nach dem Ergebnis des eingeholten Sachverstän...