Entscheidungsstichwort (Thema)
Sittenwidrigkeitsbeurteilung aus der Gesamtschau einander ergänzender Bürgschaften
Leitsatz (amtlich)
Ergänzt die streitgegenständliche Bürgschaftsverpflichtung, die bei isolierter Betrachtung den dem Hauptschuldner persönlich nahestehenden Bürgen nicht krass überfordert, eine vorausgegangene Bürgschaft, die wegen krasser finanzieller Überforderung des Bürgen sittenwidrig ist, führt dies zur Nichtigkeit auch der nachfolgenden Bürgschaft. Gleiches gilt, wenn mehrere Bürgschaften erst in ihrer Gesamtheit die krasse finanzielle Überforderung des Bürgen begründen.
Normenkette
BGB §§ 138, 607, 765
Verfahrensgang
LG Bonn (Aktenzeichen 1 O 349/00) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 5.3.2001 verkündete Urteil des LG Bonn – 1 0 349/00 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Ohne Tatbestand gem. § 543 Abs. 1 ZPO.
Gründe
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das LG hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat zwar – jedenfalls im Rahmen des Berufungsvorbringens – hinreichend dargelegt, welche Forderung Anlass für die Abgabe der Bürgschaftserklärung durch die Beklagte war, so dass die Inanspruchnahme der Beklagten aus der Bürgschaft vom 10.9.1994 i.H.d. vorliegend lediglich geltend gemachten Teilbetrages nicht an einer Unwirksamkeit bzw. Nichteinbeziehung nach §§ 3, 9 AGBG scheitert. Die Bürgschaftserklärung ist jedoch vor dem Hintergrund der bereits am 26.11.1993 über den Betrag von 380.100 DM abgegebenen Bürgschaftserklärung nach § 138 Abs. 1 BGB wegen krasser finanzieller Überforderung sittenwidrig und damit nichtig, so dass der Klägerin aus diesem Grunde der geltend gemachte Anspruch nicht zusteht.
1. Die Inanspruchnahme der Beklagten aus der Bürgschaftserklärung vom 10.9.1994 scheitert nicht bereits daran, dass die Verpflichtung wegen der formularmäßig abgegebenen weiten Zweckerklärung nach § 9 AGBG unwirksam bzw. nach § 3 AGBG nicht in den Vertrag einbezogen worden ist. Denn bei einer (unzulässigen) weiten Zweckerklärung hat der Bürge – zu ermitteln im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung – (nur) für diejenige Forderung einzustehen, die Anlass der Bürgschaftsübernahme war (vgl. BGH v. 15.4.1997 – IX ZR 112/96, NJW 1997, 3230 [3232] = MDR 1997, 777; v. 28.10.1999 – IX ZR 364/97, NJW 2000, 658 [660] = MDR 2000, 342). Dies gilt in gleicher Weise – auch im Falle einer Höchstbetragsbürgschaft (BGH v. 28.10.1999 – IX ZR 364/97, NJW 2000, 658 [659 f.] = MDR 2000, 342 unter ausdrücklicher Aufgabe der in BGH v. 7.3.1996 – IX ZR 43/95, NJW 1996, 1470 [1472] = MDR 1996, 809 vertretenen Auffassung, bei einer Höchstbetragsbürgschaft verstoße die formularmäßige Erstreckung auf alle gegenwärtigen bestehenden Ansprüche nicht gegen § 9 AGBG) – für eine bestehende wie für eine künftige Verbindlichkeit. Im Falle eines den Anlass für die Bürgschaft bildenden Kontokorrentkredits ist dabei die Haftung des Bürgen auf das im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme vereinbarte Kreditlimit begrenzt (BGH v. 13.11.1997 – IX ZR 289/96, NJW 1998, 450 [452] = MDR 1998, 296; Nobbe, Bankrecht – Aktuelle höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung, 1999, Rz. 1160, 1161). Welche Verbindlichkeit Anlass für die Verbürgung war, ist objektiv nach dem aktuellen Sicherungsinteresse des Gläubigers zu bestimmen. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Bürge einen bestimmten Kredit (oder eine sonstige Hauptschuld) vor Augen hatte, als er die Verpflichtung einging (BGH v. 18.1.1996 – IX ZR 69/95, NJW 1996, 924 = MDR 1996, 596; v. 13.11.1997 – IX ZR 289/96, NJW 1998, 450 [452] = MDR 1998, 296; Nobbe, Bankrecht – Aktuelle höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung, 1999, Rz. 1153).
Anlass für die Abgabe der Bürgschaftsverpflichtung der Beklagten am 10.9.1994 war die Einräumung eines Kreditlimits durch die Klägerin i.H.v. jedenfalls 76.000 DM an die Hauptschuldnerin, deren Geschäftsführer und Gesellschafter der Ehemann der Beklagten war. Dahinstehen kann, ob dieser Anlass von der Klägerin in erster Instanz nicht hinreichend dargelegt worden ist. Jedenfalls im Rahmen der Berufungsbegründung hat die Klägerin die entsprechende Darlegung nachgeholt und die Beklagte ist dem nicht in erheblicher Weise entgegen getreten. Bereits der zeitliche Zusammenhang zwischen der Abgabe der Bürgschaftserklärung und der Bewilligung der Überziehung des Geschäftskontos der Hauptschuldnerin deutet darauf hin, dass die Bewilligung der Kontoüberziehung Anlass für die Bürgschaftserklärung war. Jedenfalls bestand für die Kontoüberziehungen objektiv ein Sicherungsinteresse der Klägerin. Dass dieses subjektiv für die Beklagte auch erkennbar war, hat sie bereits in ihrem erstinstanzlichen Vortrag eingeräumt, indem sie vorgetragen hat, ihr Ehemann habe sie am Abend vor der Unterschriftsleistung angerufen und gebeten, sie möge die Bürgschaftserklärung unters...