Entscheidungsstichwort (Thema)
"Zusammenbruch bei Dieter Bohlen": zur Zulässigkeit der Verwendung von fremdem Sendematerial
Leitsatz (amtlich)
1. Der Zusammenbruch eines Kandidaten während eines Castings der Sendereihe "Deutschland sucht den Superstar" kann auch zwei Tage nach der erstmaligen Ausstrahlung der Aufzeichnung ein "Tagesereignis" i.S.d. § 50 UrhG sein.
2. Der Anwendungsbereich des § 50 UrhG ist grundsätzlich eröffnet, wenn die aus der Sendung eines Dritten verwendeten Ausschnitte nur als Beleg und Anschauungsmaterial für das im eigenen Beitrag kritisierte Verhalten eines bestimmten Jurymitglieds dienen.
3. Der Umstand, dass das fremde Sendematerial zeitlich mehr als die Hälfte des Berichtes ausmacht, schließt die Zulässigkeit von dessen Verwendung nicht notwendig aus.
Normenkette
UrhG §§ 50, 51 Nr. 2, § 87 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4, § 97 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 13.05.2009; Aktenzeichen 28 O 811/08) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 13.5.2009 verkündete Grundurteil der 28. Zivilkammer des LG Köln - 28 O 811/08 - abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien sind private Fernsehsendeunternehmen. Am 23.1.2008 strahlte die Klägerin eine Aufzeichnung von Vorgängen während der Kandidatenauswahl zu einer neuen Staffel ihrer Sendereihe "Deutschland sucht den Superstar" - einer sog. Casting-Show - aus; gezeigt wurde insbesondere der Zusammenbruch eines 17jährigen Kandidaten nach der Bewertung seines Auftritts durch den Jury-Sprecher E.C. Ausschnitte der Sendung verwendete die Beklagte für einen Beitrag, den sie am 24. und 25.1.2008 mehrfach in ihren Sendungen "N" und "G" ausstrahlte. Die Klägerin sieht darin eine Verletzung ihres exklusiven Senderechts. Sie nimmt die Beklagte, die sich am 25.1.2008 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht verpflichtete, weitere Ausstrahlungen des Beitrags zu unterlassen, auf Schadensersatz in Höhe eines fiktiven Lizenzentgelts in Anspruch. Die Beklagte meint, die Verwendung des Sendematerials der Klägerin in ihrem Beitrag sei durch das Recht zur Berichterstattung über Tagesereignisse und das Zitatrecht gedeckt. Das LG hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit ihrer Berufung erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage. Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Ein Schadensersatzanspruch aus § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG in der bis zum 31.8.2008 geltenden Fassung dieser Vorschrift, der allein in Betracht kommt, steht der Klägerin gegen die Beklagte nach dem unstreitigen Sachverhalt nicht zu.
Wie vom LG im Ausgangspunkt zu Recht angenommen, griff die Beklagte in das ausschließliche Verbreitungsrecht der Klägerin aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 UrhG ein, als sie deren Sendematerial in einen redaktionellen Beitrag einbezog und am 24. und 25.1.2008 mehrfach in ihren Magazinsendungen ausstrahlte. Wegen der Schranken ihres Schutzrechts aus § 87 Abs. 4 UrhG i.V.m. §§ 50 und 51 UrhG hat die Klägerin den Eingriff aber hinzunehmen.
1. Nach der Schrankenregelung des § 50 UrhG ist zur Berichterstattung über Tagesereignisse die Verbreitung von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig. Der Sendebeitrag der Beklagten stellt einen nach dieser Vorschrift privilegierten aktuellen Bericht dar und überschreitet in seiner konkreten Ausgestaltung nicht die Grenzen einer zulässigen Verwendung der Fremdleistung.
a) Tagesereignis ist jedes aktuelle Geschehen, das für die Öffentlichkeit von Interesse ist, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich um politisch oder kulturell bedeutsame oder eher banale Vorgänge handelt oder ob im Wesentlichen nur die Neugier und das Klatschbedürfnis des Publikums angesprochen werden; aktuell ist es, solange ein Bericht darüber von der Öffentlichkeit noch als Gegenwartsberichterstattung empfunden wird (BGH, WRP 2002, 1302 = GRUR 2002, 1050 [1051] - Zeitungsbericht als Tagesereignis; BGHZ 175, 135 = WRP 2008, 1121 = GRUR 2008, 693 [Rz. 48] - TV-Total; Senat, GRUR-RR 2005, 105 f. - Elektronischer Fernsehprogrammführer).
Wie dem Senat bekannt und zwischen den Parteien unstreitig ist, stößt die Casting-Show der Klägerin auf großes Publikumsinteresse. Schon nach früheren Sendungen war es zu öffentlichen Diskussionen über die vielfach für unangemessen und menschenverachtend gehaltenen Äußerungen des Jury-Mitglieds E C gekommen. Der Zusammenbruch eines Kandidaten vor laufenden Kameras im Zusammenhang mit Äußerungen Cs während der Vorauswahl zu einer neuen Sendestaffel stellt sich vor diesem Hintergrund als ein die Öffentlichkeit...