Leitsatz (amtlich)

Das selbständige Beweisverfahren ist grundsätzlich erst dann beendet, wenn sämtliche Punkte des Beweisbeschlusses abgearbeitet sind und keine weiteren Fragen an den Sachverständigen gestellt werden. Etwas anderes gilt aber dann, wenn der Antragsteller sich damit einverstanden erklärt, dass der beauftragte Sachverständige, der nicht für sämtliche Punkte sachverständig ist, ein Gutachten zu den Punkten macht, für die er sachverständig ist, und wenn der Antragsteller nach Vorliegen des Gutachtens weder weitere Fragen an den Sachverständigen stellt noch die Anfertigung eines weiteren Gutachtens durch einen anderen Sachverständigen zu den Punkten begehrt, die noch nicht bearbeitet sind. Erklärt der Antragsteller nach erfolgter Streitwertfestsetzung durch das Gericht auf einen entsprechenden späteren Hinweis des Gerichts, dass er die Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens durch den Streitwertbeschluss akzeptiere, dann ist dies als konkludent erklärte Rücknahme des ursprünglichen Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens hinsichtlich der nicht abgearbeiteten Punkte des Beweisbeschlusses zu werten.

Der Antragsteller kann in diesem Fall einen neuen Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens hinsichtlich der nicht abgearbeiteten Punkte des ursprünglichen Beweisbeschlusses stellen, sofern hierfür noch ein rechtliches Interesse besteht.

 

Verfahrensgang

LG Deggendorf (Beschluss vom 02.11.2015; Aktenzeichen 31 OH 46/12)

 

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des LG D. vom 02.11.2015 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Das LG D. hat mit dem Beschluss vom 02.11.2015 den Antrag auf Wiedereintritt in das selbständige Beweisverfahren zurückgewiesen.

Es besteht zwar der Grundsatz, dass - vorbehaltlich entgegenstehender Einzelfallgesichtspunkte - ein selbständiges Beweisverfahren nicht beendet ist, solange keine förmliche Beweisaufnahme zu allen im Beweisbeschluss enthaltenen Beweisfragen stattgefunden hat (Beschluss des LG Stuttgart vom 18.07.2012 - 19 T 75/12). In dem vom LG Stuttgart entschiedenen Fall hat das Gericht der ersten Instanz die rechtsfehlerhafte Meinung vertreten, dass mit der mündlichen Anhörung des Sachverständigen das selbständige Beweisverfahren beendet sei.

Im vorliegenden Fall liegen aber folgende Gründe vor, die ein Abweichen von dem vorgenannten Grundsatz rechtfertigen:

Der Antragsteller ist damit einverstanden gewesen, dass das Gutachten angefertigt wird, obwohl der Sachverständige zuvor mitgeteilt hatte, dass nicht sämtliche Beweispunkte in seinen Fachbereich gehören. Als das LG D. das Gutachten, das nicht alle Punkte des Beweisbeschlusses abgearbeitet hatte, am 14.10.2013 an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit Fristsetzung zur Stellungnahme bis zum 04.11.2013 geschickt hat, ist von der Antragstellerseite weder das Gutachten beanstandet noch der Antrag gestellt worden, ein weiteres Sachverständigengutachten zu den noch nicht beantworteten Beweisfragen in Auftrag zu geben. Daraufhin hat das LG D. mit Beschluss vom 07.11.2013 den Streitwert festgesetzt, womit in der Praxis allgemein das selbständige Beweisverfahren abgeschlossen wird. Die §§ 485 ff ZPO, die das selbständige Beweisverfahren regeln, sehen nicht eine Beendigung dieses Verfahrens durch einen förmlichen Beschluss vor (OLG Hamm NJW-RR 2007, 600). Deshalb hat das LG D. dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit der Verfügung vom 02.06.2014 auf die Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens hingewiesen, nachdem er mit Schriftsatz vom 15.05.2014 die Anfertigung eines Ergänzungsgutachtens beantragt hatte. Mit Schriftsatz vom 02.07.2014 hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers ausdrücklich die Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens durch den Streitwertbeschluss vom 07.11.2013 akzeptiert. Der mit Beschluss des LG D. vom zur Klageerhebung aufgeforderte Antragsteller hat anschließend innerhalb der gesetzten Frist Klage erheben lassen. Das LG D. hat dem Antragsteller im Rechtsstreit 22 O 398/14 durch das Endurteil vom 25.03.2015 in der Hauptsache rechtskräftig einen Zahlungsanspruch in Höhe von EUR 11.275,85 zugesprochen.

Bei dieser Sachlage hat das LG Deggendorf den Antrag des Antragstellers vom auf Wiedereintritt in das selbständige Beweisverfahren zu Recht zurückgewiesen. Spätestens mit dem Schreiben vom 02.07.2014, mit dem die Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens durch den Streitwertbeschluss vom 07.11.2013 von der Antragstellerseite ausdrücklich akzeptiert worden ist, kann zumindest von einer konkludenten Rücknahme des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens hinsichtlich der Punkte angenommen werden, die im Gutachten nicht behandelt worden sind.

Dem Antragsteller ist durch den von ihm angefochtenen Beschluss des LG D. vom 02.11.2015 kein Nachteil entstanden, da er einen neuen Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?