Entscheidungsstichwort (Thema)
Befangenheit, Befangenheitsantrag, Beschwerde, Abrechnung, Verletzung, Verfahrensfehler, Ablehnung, Teilurteil, Beweisaufnahme, Leistung, Schriftsatz, Berufungsverfahren, Zahlung, Verhandlung, sofortige Beschwerde, Besorgnis der Befangenheit
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 04.11.2022; Aktenzeichen 14 HK O 10300/15) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 04.11.2022, Az. 14 HK O 10300/15, dahingehend abgeändert, dass das Ablehnungsgesuch der Beklagten für begründet erklärt wird.
Gründe
I. Die Parteien streiten in einem seit dem Jahr 2015 andauernden Rechtsstreit (14 HK O 10300/15) im Rahmen einer Stufenklage über Provisionsansprüche des Klägers gegen die Beklagte. Der Kläger war für die Beklagte seit April 2008 als selbständiger (Unter-)Handels- und (Unter-)Versicherungsvertreter tätig. Das Handels- und Versicherungsvertreterverhältnis des Klägers endete unter zwischen den Parteien streitigen Umständen zu einem ebenfalls streitigen Zeitpunkt im Jahr 2015.
Am 28.03.2022 fand vor der 14. Handelskammer des Landgerichts München I unter dem Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Landgericht S. ein Termin ohne Handelsrichter zur Beweisaufnahme und Fortsetzung der mündlichen Verhandlung statt. Nachdem in dem Termin vom 28.03.2022 zwei Zeugen vernommen worden waren und die Beklagte den Vorsitzenden Richter am Landgericht S. als befangen abgelehnt hatte, stellte der Klägervertreter die Anträge aus seinem Schriftsatz vom 21.10.2022 (Bl. 731 d.A.). Der Beklagtenvertreter stellte die Widerklageanträge aus seinen Schriftsätzen vom 27.10.2015 (Bl. 79/94 d.A.), 07.03.2016 (Bl. 127/151 d.A.) und 25.05.2020 (Bl. 617/629 d.A.). Beide Parteien beantragten schließlich die Zurückweisung der jeweils gegnerischen Anträge. Die Verhandlung endete mit der Bestimmung eines Termins zur Verkündung einer Entscheidung am 29.04.2022 "vorbehaltlich einer zwischenzeitlichen Entscheidung des zuständigen Vertreters über den Befangenheitsantrag der Beklagtenseite" (vgl. das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2022, Bl. 770/786 d.A.).
Aufgrund einer von keinem Richter und auch sonst niemandem unterschriebenen Verfügung vom 26.04.2022 (Bl. 813 d.A.) wurde die Aufhebung des auf den 29.04.2022 anberaumten Verkündungstermins den Parteivertretern mitgeteilt.
Mit Beschluss vom 13.05.2022 (Bl. 823/828 d.A.) wies das Landgericht München I den Befangenheitsantrag der Beklagten als unbegründet zurück. Die Beklagte nahm die Zurückweisung hin.
Ohne dass die Parteien ihre Zustimmung zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt hätten (oder auch nur angefragt worden wären), bestimmte der Vorsitzende Richter S. mit Verfügung vom 22.08.2022 (Bl. 834 d.A.) Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 30.08.2022.
Mit Teilurteil des Vorsitzenden Richters S. vom 30.08.2022 verurteilte das Landgericht München I die Beklagte, dem Kläger eine Abrechnung zu erteilen über Abschlussprovisionen im Falle dynamischer Erhöhung von Prämie und Leistung aus den vom Kläger vermittelten Lebensversicherungsgeschäften für den Zeitraum 01.01.2011 bis 30.04.2015 (Ziffer 1 des Tenors), ferner dem Kläger eine Abrechnung zu erteilen über alle von ihm aufgrund des Handelsvertretervertrages verdienten Provisionen für den Abrechnungszeitraum 01.04.2015 bis 3.04.2015 [sic] (Ziffer 2 des Tenors) sowie dem Kläger eine Abrechnung über die sogenannte Günstigerprüfung im Sinne des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrages für das Kalenderjahr 2014 zu erteilen, bei der die Beklagte die im Strategieberatervertrag vom 15.05.2013 benannten Grundsätze zu beachten habe (Ziffer 3 des Tenors). Im unstreitigen Teil des Tatbestands des Teilurteils war ausgeführt, dass der zwischen den Parteien bestehende Vertrag spätestens zum 18.03.2015 durch fristlose Kündigung des Klägers beendet worden sei (LGU S. 2 Mitte).
Weder im Tatbestand noch in den Entscheidungsgründen des Teilurteils vom 30.08.2022 traf das Landgericht Feststellungen zur Abrechnung über die verdienten Provisionen für den Abrechnungszeitraum vom 01.04.2015 bis 03.04.2015 sowie zur Abrechnung über die Günstigerprüfung. Feststellungen traf das Landgericht nur hinsichtlich des Anspruchs des Klägers auf Erteilung einer Abrechnung über die Dynamikprovisionen.
Nachdem das Teilurteil vom 30.08.2022 ihr am 31.08.2022 zugestellt worden war, lehnte die Beklagte den Vorsitzenden Richter S. mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 05.09.2022 (Bl. 845/861 d.A.) wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Sie begründete ihren Befangenheitsantrag u.a. damit, dass zumindest bezüglich der Ziffern 2 und 3 des Tenors ohne mündliche Verhandlung entschieden worden sei (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 05.09.2022, S. 3, Bl. 847 d.A.) und dass dem Teilurteil nicht zu entnehmen sei, aus welchen Gründen die Verurteilung in Ziffer 2 und 3 des Tenors erfolgt sei (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 05.09.2022, S. 4, Bl. 848 d.A...