Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung. Hauptverhandlung. Staatsschutzsache. Zumutbarkeit. Pauschgebühr. Akteneinsicht. Infinus-Prozess

 

Leitsatz (amtlich)

1. Staatsschutzsachen sind nicht generell "besonders schwierig" i.S. des § 51 Abs. 1 RVG. (Rn. 12 - 13)

2. Zum Begriff der Zumutbarkeit i.S. des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG. (Rn. 16 ff.)

 

Normenkette

RVG § 51 Abs. 1 S. 1; GVG § 122 Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Der Antrag des Rechtsanwalts A. H. auf Bewilligung einer Pauschgebühr wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Der Antragsteller war ab 23.09.2015 infolge Vertretungsanzeige und gemäß Vollmachtsurkunde vom selben Tag Wahlverteidiger der inzwischen rechtskräftig verurteilten Denise Grüneberg. Mit Verfügung vom 20.01.2016 wurde er - unter Aufhebung der Beiordnung des bisherigen Pflichtverteidigers Rechtsanwalt M. - zum Pflichtverteidiger bestellt. Weiterer Pflichtverteidiger war infolge Verfügung vom 01.03.2016 Rechtsanwalt D.

Mit Schreiben vom 20.04.2017 beantragte Rechtsanwalt H. gemäß § 51 Abs. 1 RVG eine Pauschgebühr für das Verfahren bis zur Hauptverhandlung von 15.360 € (netto) und für das Hauptverfahren von mindestens 3-1.332,75 € (netto) jeweils nach Abzug der bereits festgesetzten bzw. ausbezahlten Pflichtverteidigergebühren In einem vorangegangenen - zurückgewiesenen -Antrag auf Bewilligung eines Vorschusses auf eine zu gewährende Pauschgebühr hatte er ausgeführt, dass für das Verfahren bis zur Hauptverhandlung eine Pauschgebühr von 3000 € (netto) zu bewilligen und für jeden Hauptverhandlungstag die Wahlverteidigerhöchstgebühr von 1.162,50 € angemessen sei.

Die Bezirksrevisorin wurde angehört; dem Antragsteller wurde Gelegenheit zur Stellungnahme hieraufgegeben.

II. Eine Pauschgebühr kann nicht bewilligt werden.

A. Der Senat entscheidet durch den Einzelrichter, da eine - beantragte - Vorlage an den Senat nur zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in Betracht kommt und weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, inwieweit diese durch die vorliegende Einzelfallentscheidung berührt ist.

B. Eine Pauschgebühr kann nur gewährt werden, wenn das Verfahren besonders umfangreich oder schwierig ist und zudem die verfassungsrechtlich zumutbare Grenze eines Sonderopfers infolge der Heranziehung als Pflichtverteidiger überschritten wird. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt dabei die Ausnahme dar; die anwaltliche Mühewaltung muss sich von sonstigen - auch überdurchschnittlichen Sachen - in exorbitanter Weise abheben (BGH 4 StR 73/10 Beschluss vom 11.02.2014 Rdn. 5 zit. nach [...]). Dies ist nicht der Fall. Hinzu kommt, dass nicht lediglich eine isolierte Betrachtung der Gebühren für einen Verfahrensabschnitt vorzunehmen ist. Die Pauschgebühr für eine anwaltliche Tätigkeit in einem Verfahrensabschnitt muss in Relation zu der gesamten Tätigkeit im Verfahren und den gesamten Gebühren des Pflichtverteidigers gesehen werden (OLG Hamm, Beschluss vom 28. Dezember 2016 5 RVGs 79/16 Rdn. 8 zit. nach [...]). Hiernach kam die Bewilligung einer Pauschgebühr nicht in Betracht.

a) Besonderer Umfang

Zutreffend ist, dass das Verfahren umfangreich war, insbesondere aufgrund der in den Akten enthaltenen vielfältigen Kommunikationsinhalte der Angeklagten und früherer Mitbeschuldigter; ein besonderer Umfang lag jedoch nicht vor.

Eine gewisse Kompensation des Umfangs wird bereits durch die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers bewirkt (Burhoff RVG in Straf- und Bußgeldsachen 4. A § 51 Rdn. 162). Der Antragsteller hatte selbst - vor Entpflichtung des RA M. - seine eigene Beiordnung als zweiter Pflichtverteidiger im Hinblick auf den Umfang beantragt. Von einer arbeitsteiligen Vorgehensweise ist, wie sich auch hinsichtlich der Schlussvorträge der beiden Pflichtverteidiger der Angeklagten G. und der Antragstellung in der Hauptverhandlung gezeigt hat, somit auszugehen.

Ebenso wenig verfängt der Verweis des Antragstellers auf die Entscheidung des OLG Koblenz v. 21.12.2016 1 AR 105/16. Wie sich schon aus dem vom Antragsteiler zitierten Beschlussinhalt ergibt, betrug der Aktenumfang für die erstmalige Einarbeitung dort etwa das Dreifache des Aktenbestandes im hiesigen Verfahren Hinzu kommen weitere Umstände, die sich in dem Beschluss wiederfinden, etwa dass anders als vorliegend mit lediglich 4 Angeklagten es dort um 26 Angeklagte ging (OLG Koblenz aaO Rdn. 2 zit. nach [...]). Soweit zudem der Berichterstattung über den dort gegenständlichen Strafprozess - und insofern allgemeinkundig - zu entnehmen ist, war neben dem eigentlichen Organisationsdelikt anders als vorliegend eine Vielzahl von Delikten im Rahmen der Betätigung der Organisation in wechselnder Zusammensetzung der Angeklagten verfahrensgegenständlich, was zu einer im Gegensatz zum hiesigen Verfahren deutlich erhöhten Komplexität führte. Soweit der Antragsteller im Hinblick auf den Aktenumfang auch auf Beiakten von früheren Mitbeschuldigten abstellt, hat der Senat diese nicht beigezogen, sondern die Verteidiger haben insoweit Akteneinsicht durch die Bundesanwaltschaft erhalten. Eine Berü...

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