Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung der BRAGO-Prozessgebühr auf RVG-Verfahrensgebühr nach Zurückverweisung
Leitsatz (amtlich)
Ist ein vor dem 1.7.2004 anhängig gewesenes Verfahren nach diesem Stichtag durch das Rechtsmittelgericht an das schon vorher mit der Sache befasste Gericht zurückverwiesen worden, ist die vor der Zurückverweisung dem Prozessbevollmächtigten erwachsene Prozessgebühr auf die nach der Zurückverweisung entstandene Verfahrensgebühr in entsprechender Anwendung der Vorbem. 3 Abs. 6 RVG-VV anzurechnen. Die danach verbleibende Differenz - regelmäßig in Höhe einer 0,3-Gebühr - kann im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden.
Normenkette
RVG-VV Vorbem. 3 Abs. 6; RVG § 21 Abs. 1, § 61 Abs. 1; BRAGO § 15 Abs. 1, § 31 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 10 HKO 22122/97) |
Tatbestand
Das am 24.6.2003 ergangene Urteil des OLG hatte der BGH im November 2004 aufgehoben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dort wurde das Verfahren nach erneuter mündlicher Verhandlung durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossen.
Im Rahmen der Kostenausgleichung hat es die Rechtspflegerin abgelehnt, für das Berufungsverfahren nach Zurückverweisung eine Verfahrensgebühr zu berücksichtigen. Die Beklagte ist dagegen der Auffassung, es sei nach Zurückverweisung eine 1,6-Verfahrensgebühr entstanden. Darauf sei zwar die angefallene 13/10-Prozessgebühr anzurechnen; die danach verbleibende Differenz sei aber bei der Kostenfestsetzung zu berücksichtigen. Die sofortige Beschwerde der Beklagten hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
1. Die den Prozessbevollmächtigten der Parteien in der Berufungsinstanz bis zur Verkündung des Urteils v. 24.6.2003 erwachsenen Gebühren sind nach § 61 Abs. 1 S. 1 RVG die Vorschriften der BRAGO weiter anzuwenden. Danach ist für die Prozessbevollmächtigten in der Berufungsinstanz zunächst nach §§ 11 Abs. 1, 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO eine 13/10-Prozessgebühr angefallen.
2. Für die nach der Zurückverweisung durch das Urteil des BGH im weiteren Berufungsverfahren angefallenen Anwaltsgebühren sind dagegen die Vorschriften des am 1.7.2004 in Kraft getretenen RVG anzuwenden, wie sich aus § 61 Abs. 1 S. 2 RVG i.V.m. § 21 Abs. 1 RVG ergibt (Müller-Rabe, NJW 2005, 1609, 1616; AnwKomm/RVG/N. Schneider, 3. Aufl., § 61 Rz. 5; Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, 2. Aufl., Teil 19 Rz. 123; zu der entsprechenden Regelung in §§ 15 Abs. 1 S. 1, 134 Abs. 1 S. 2 BRAGO: OLG Hamburg JurBüro 1977, 201; OLG Bamberg JurBüro 1980, 537; OLG Stuttgart JurBüro 1989, 1404; OLG Zweibrücken JurBüro 2000, 21). Danach handelt es sich bei dem aufgrund der Zurückverweisung durchgeführten weiteren Berufungsverfahren um einen neuen Rechtszug, in dem für die Prozessbevollmächtigten die Gebühren nach Maßgabe des RVG erneut angefallen sind (§§ 15 Abs. 2 S. 2, 21 Abs. 1 RVG).
a) Für die Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist somit nach der Zurückverweisung außer der 1,2-Terminsgebühr (Nr. 3202 RVG-VV) eine 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV entstanden. Auf diese ist in entsprechender Anwendung der Vorbem. 3 Abs. 6 RVG-VV - wie von der Beklagten geltend gemacht - die vor der Zurückverweisung angefallene 13/10-Prozessgebühr anzurechnen. Die entsprechende Anwendung der Anrechnungsbestimmung gem. Vorbem. 3 Abs. 6 RVG-VV in Übergangsfällen der vorliegenden Art erscheint deshalb sach- und interessengerecht, weil die Prozessgebühr (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) und die Verfahrensgebühr nach der Vorbem. 3 Abs. 2 RVG-VV denselben Abgeltungsbereich haben, nämlich "das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information" (vgl. BGH JurBüro 2007, 420 zur Anwendbarkeit der Vorbem. 3 Abs. 5 RVG-VV in Übergangsfällen). Die nach dieser Anrechnung verbleibende Differenz (0,3-Verfahrensgebühr) schuldet die Beklagte ihren Prozessbevollmächtigten (Müller-Rabe, a.a.O.; N. Schneider, a.a.O.) und kann deshalb diesen Differenzbetrag auch im Kostenfestsetzungsverfahren geltend machen (§ 91 Abs. 2 S. 1 ZPO).
Die von Madert (in Gerold/Schmidt, RVG, 17. Aufl., § 60 Rz. 81 a.E.) vertretene gegenteilige Auffassung, auf welche sich die Vorinstanz berufen hat, ist abzulehnen. Soweit in der obergerichtlichen Rspr. unter Geltung der BRAGO zu der übergangsrechtlichen Vorschrift des § 134 Abs. 1 BRAGO die Auffassung vertreten worden ist, dass nach Zurückverweisung eines Verfahrens an die Vorinstanz und einer während des Rechtsmittelverfahrens in Kraft getretenen Änderung des anwaltlichen Gebührenrechts der Rechtsanwalt keinen Anspruch auf den Unterschiedsbetrag zwischen der Prozessgebühr nach altem Recht und der (höheren) nach dem neuem Recht habe (OLG Hamburg JurBüro 1977, 201; OLG Bamberg JurBüro 1980, 537; OLG Stuttgart JurBüro 1989, 1404), beruht dies auf § 15 Abs. 1 S. 2 BRAGO (in der bis zum 30.6.2004 geltenden Fassung). Danach entsteht nach einer Zurückverweisung an das schon vorher mit der Sache befasste Gericht für den Rechtsanwalt die Prozessgebühr nicht erneut. Eine solche Einschränkung enthält § 21 Abs. 1 ...