Leitsatz (amtlich)

1. Nach einer durch Freiheitsentziehung eingetretenen Erledigung der Hauptsache kann der Betroffene sein Rechtsmittel mit dem Ziel aufrechterhalten, die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung feststellen zu lassen. Das Gericht kann eine rechtswidrige Freiheitsentziehung längstens für den Zeitraum feststellen, der von der zulässig angefochtenen Haftanordnung umfasst wird.

2. In Abschiebungshaftverfahren resultiert aus dem Beschleunigungsgebot für die beteiligten Behörden die Pflicht, die Haft auf den Zeitraum zu begrenzen, der unbedingt erforderlich ist, um die Abschiebung vorzubereiten und durchzuführen. Die Verletzung dieser Pflicht steht einer weiteren Haftanordnung entgegen.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 2 S. 2, Art. 19 Abs. 4; AufenthG § 62 Abs. 2; FreihEntzG § 7 Abs. 1, § 10 Abs. 2; FGG § 27

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 07.06.2005; Aktenzeichen 13 T 7750/05)

AG München (Aktenzeichen 872-XIV B 658/04)

 

Tenor

I. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des LG München I vom 7.6.2005 wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die mit Beschluss des AG München vom 31.3.2005 angeordnete und vom 1.4.2005 bis 4.5.2005 vollzogene Abschiebungshaft rechtswidrig war.

Im Übrigen wird die sofortige weitere Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Landkreis Augsburg hat die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen.

 

Gründe

I. Die Ausländerbehörde betrieb die Abschiebung des Betroffenen, eines mutmaßlich marokkanischen Staatsangehörigen. Der Betroffene war am 15.9.2003 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hatte am 30.9.2003 die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt. Mit Bescheid vom 9.10.2003, bestandskräftig seit 23.10.2003, lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag des Betroffenen als offensichtlich unbegründet ab. Der Betroffene ist seit 15.10.2003 vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. In der ihm zugewiesenen Gemeinschaftsunterkunft hielt sich der Betroffene seitdem nicht auf. Am 31.10.2003 wurde er wegen Diebstahls festgenommen und befand sich deswegen vom 31.10.2003 bis 1.12.2003 in Untersuchungshaft.

Mit Beschl. v. 1.12.2003 hat das AG gegen den Betroffenen Abschiebungshaft mit sofortiger Wirksamkeit für die Dauer von längstens drei Monaten angeordnet, da bei dem Betroffenen der begründete Verdacht bestehe, dass er sich der Abschiebung entziehen wolle. Im Januar 2004 stellte sich heraus, dass die vom Betroffenen zunächst angegebenen Personalien falsch waren. Dadurch, sowie durch weitere Umstände, verzögerte sich die Abschiebung des Betroffenen. Aufgrund weiterer amtsgerichtlicher Beschlüsse vom 27.2.2004, 19.5.2004, 30.8.2004, 24.9.2004, 29.9.2004, 27.12.2004 und 31.3.2005 befand sich der Betroffene vom 1.12.2003 bis zu seiner Entlassung am 4.5.2005 in Abschiebungshaft.

Gegen den jüngsten Beschluss des AG vom 31.3.2005, mit dem die weitere Abschiebungshaft ab 1.4.2005 angeordnet wurde, hat der Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt. Nach seiner Entlassung aus der Abschiebungshaft hat er seinen Antrag dahingehend umgestellt, dass er nunmehr die Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen ihn verhängten Abschiebungshaft seit 23.9.2004 beantragt. Das LG hat die sofortige Beschwerde mit Beschl. v. 7.6.2005 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen.

II. Die zulässige sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen hat teilweise Erfolg.

1. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen ist nicht deswegen unzulässig geworden, weil der Betroffene vor der Entscheidung des LG aus der Haft entlassen wurde. Zwar hat sich die Hauptsache dadurch erledigt. Jedoch hat der Betroffene diesem Umstand dadurch Rechnung getragen, dass er seinen Antrag umgestellt hat auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der verhängten Haft. In Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe besteht das Rechtsschutzinteresse trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzzieles fort (BVerfG v. 5.12.2001 - 2 BvR 527/99, 2 BvR 1337/00, 2 BvR 1777/00, BVerfGE 104, 220 [238]).

2. Das Rechtsmittel hat insoweit keinen Erfolg, als mit dem gestellten Antrag die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vom 23.9.2004 bis 31.3.2005 vollzogenen Abschiebungshaft begehrt wird. Dieser Zeitraum war nicht Gegenstand der ursprünglichen Beschwerde.

a) Gegenstand der sofortigen Beschwerde bildete der Beschluss des AG vom 31.3.2005, mit dem die weitere Abschiebungshaft ab 1.4.2005 angeordnet wurde. Die bis 31.3.2005 vollzogene Abschiebungshaft beruhte auf vorangegangenen Beschlüssen des AG.

b) Die vor dem 31.3.2005 ergangenen und den hier erheblichen Haftzeitraum vom 23.9.2004 bis 31.3.2005 betreffenden Beschlüsse sind vom Betroffenen nicht mit den vom Gesetz zur Verfügung gestellten Rechtsmitteln angegriffen worden. Weder hat er sofortige Beschwerde (§ 7 Abs. 1 FreihEntzG) gegen die Beschlüsse vom 30.8.2004, 24.9.2004, 29.9.2004 und 27.12.2004 eingelegt, noch hat er na...

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