Leitsatz (amtlich)

In Abschiebungshaftsachen sind neue Tatsachen auch nach Erlass der Beschwerdeentscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren dann berücksichtigungsfähig, wenn sie offenkundig oder unstreitig sind und ohne weitere Beweisaufnahme eine abschließende Entscheidung ergehen kann.

 

Normenkette

FGG § 27

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 31.05.2005; Aktenzeichen 18 T 4871/05)

AG Fürth (Bayern) (Beschluss vom 13.05.2005; Aktenzeichen XIV 14/05)

 

Tenor

I. Die sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluss des LG Nürnberg-Fürth vom 31.5.2005 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass der Vollzug der Haftanordnung des AG Fürth (Bay.) vom 13.5.2005 seit 17.6.2005 rechtswidrig war.

II. Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt P.F., B.-Strasse 1, Hannover, beigeordnet.

 

Gründe

I. Die Ausländerbehörde betrieb die Abschiebung des Betroffenen, eines indischen Staatsangehörigen. Dessen erster Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.9.2002, bestandskräftig seit 21.9.2002, abgelehnt. Zugleich wurde der Betroffene unter Androhung der Abschiebung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen.

Der Betroffene verließ die ihm zugewiesene Gemeinschaftsunterkunft und war unbekannten Aufenthalts. Am 8.11.2002 wurde er von Amts wegen abgemeldet und zur Festnahme ausgeschrieben. Am 25.11.2003 wurde er in H aufgegriffen. Bei dieser Gelegenheit gab er falsche Personalien an und erklärte, er wolle Asyl beantragen. Nachdem seine zuvor angegebene Identität festgestellt worden war, wurde er in den für ihn zuständigen Landkreis zurückgeschickt. Daraufhin war er erneut unbekannten Aufenthalts. Am 13.2.2005 stellte der Betroffene beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylfolgeantrag und wurde dort festgenommen.

Mit Beschl. v. 14.2.2005 hat das AG mit sofortiger Wirksamkeit Sicherungshaft bis zum Ablauf des 14.5.2005 angeordnet. Es hat dabei die Haftgründe des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 und 5 AufenthG bejaht. Die vom Betroffenen hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das LG mit Beschl. v. 4.3.2005 zurückgewiesen. Mit Beschl. v. 13.5.2005 hat das AG die verhängte Abschiebungshaft um weitere drei Monate bis zum 14.8.2005 verlängert. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das LG mit Beschl. v. 31.5.2005 zurückgewiesen und zugleich die für den Beschwerderechtszug beantragte Prozesskostenhilfe versagt. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 20.6.2005.

Mit Fax vom Freitag, dem 17.6.2005, eingegangen um 11:29 Uhr, teilte die Zentrale Rückführungsstelle der Ausländerbehörde mit, dass Heimreisedokumente für den Betroffenen von den indischen Behörden nicht ausgestellt würden, da der Betroffene falsche Personalien angegeben habe. Ohne Kenntnis seiner richtigen Personalien sei eine Abschiebung unmöglich. Am Mittwoch, dem 22.6.2005, wurde der Betroffene aus der Haft entlassen, da Ansatzpunkte für die Ermittlung der richtigen Personalien nicht bestanden.

Nach seiner Haftentlassung beantragt der Betroffene nunmehr, festzustellen, dass die mit Beschl. v. 13.5.2005 angeordnete Abschiebungshaft von Beginn an, jedenfalls aber ab 17.6.2005, rechtswidrig war. Er macht geltend, die Inhaftierung habe gegen § 62 Abs. 3 S. 1 AufenthG verstoßen, da bei indischen Staatsangehörigen die Beschaffung von Passersatzpapieren nicht binnen sechs Monaten möglich sei. Zudem sei der Beschleunigungsgrundsatz nicht beachtet worden, da er bereits am 2.12.2003 die für die Passersatzbeschaffung erforderlichen Unterlagen an die Verwaltungsbehörde geschickt habe. Jedenfalls hätte er nach der Mitteilung der Zentralen Rückführungsstelle vom 17.6.2005 sofort entlassen werden müssen. Zudem rügt der Betroffene, er sei vom LG nicht angehört worden. Für sein Rechtsmittel beantragt der Betroffene erneut Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des ihn vertretenden Rechtsanwalts.

II.1. Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe durch das LG richtet, ist das Rechtsmittel zwar an sich statthaft (§ 14 FGG, § 574 Abs. 1, Nr. 2 ZPO; Bassenge/Herbst/Roth, FGG, 10. Aufl., § 14 Rz. 8), hier jedoch unzulässig, weil das LG sie nicht zugelassen hat (BayObLG FGPrax 2002, 182; OLG Frankfurt FGPrax 2003, 175; OLG München, Beschl. v. 1.6.2005 - 34 Wx 057/05).

2. Im Übrigen ist das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel zulässig. Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen ist nicht deswegen unzulässig geworden, weil der Betroffene am 22.6.2005 aus der Haft entlassen wurde. Zwar hat sich die Hauptsache dadurch erledigt. Jedoch hat der Betroffene diesem Umstand dadurch Rechnung getragen, dass er seinen Antrag dahin umgestellt hat, die Rechtswidrigkeit der verhängten Haft festzustellen. In Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe besteht das Rechtsschutzinteresse trotz Erledigung des ursprüngl...

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