Leitsatz (amtlich)
Mehrere Tatsachen, die für sich betrachtet die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen (noch) nicht rechtfertigen, können bei der Gesamtschau Anlass geben, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln (hier: mehrere Ungenauigkeiten bei der Sachverhaltsfeststellung zu Lasten einer Partei und moralische Wertungen, die sich aus der Diktion ergeben).
Verfahrensgang
LG Landshut (Beschluss vom 17.01.2005; Aktenzeichen 44 O 2948/03) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten werden der Beschluss des LG Landshut vom 17.1.2005 und der Nichtabhilfebeschluss vom 16.2.2005 insoweit aufgehoben, als sie die Ablehnung des Sachverständigen Dr. S. wegen der Besorgnis der Befangenheit betreffen. Der Ablehnungsantrag des Beklagten gegen den Sachverständigen Dr. S. wird für begründet erklärt.
2. Die weiter gehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Klägerin 2/5 und der Beklagte 3/5.
4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.439,01 EUR.
Gründe
1. Die Klägerin macht ggü. dem Beklagten, einem Zahnarzt, vor dem LG Landshut Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend. Das LG beauftragte den Zahnarzt Dr. R.S. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens.
Am 12.11.2004 erstellte Dr. S. ein vierunddreißigseitiges Gutachten (Bl. 67/100 d.A.), das dem Beklagtenvertreter am 19.11.2004 zugestellt wurde. Mit Schriftsatz vom 3.12.2004 (Bl. 102/114 d.A.), auf den der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, lehnte der Beklagte den Sachverständigen Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit ab und beantragte, ihn nicht zu entschädigen. Nach der Meinung des Beklagten hätte er oder sein Anwalt zum Untersuchungstermin geladen werden müssen. Der Sachverständige habe streitigen Sachvortrag der Klägerin als wahr unterstellt. Zudem deute die Diktion von Dr. S. auf Voreingenommenheit ggü. ihm hin. Mit Beschl. v. 17.1.2005, dem Beklagten zugestellt am 20.1.2005, wies das LG Landshut den Befangenheitsantrag zurück. Es führte aus, die ärztliche Untersuchung durch den Sachverständigen sei nicht parteiöffentlich. Eine unzulässige Beweiswürdigung durch den Sachverständigen liege nicht vor. Soweit der Sachverständige Angaben der Klägerin verwerte, sei dies im Gutachten erkennbar. Die behauptete fehlende Kompetenz des Sachverständigen stelle keinen Ablehnungsgrund dar.
Mit Schriftsatz vom 3.2.2005 legte der Beklagte gegen den Beschl. v. 17.1.2005 sofortige Beschwerde ein. Der Beklagte brachte vor, der Sachverständige sei befangen, weil er streitigen Sachvortrag der Klägerin der Begutachtung zugrunde gelegt habe. Der Sachverständige äußerte sich in einem "Ergänzungsgutachten" vom 14.2.2005 zum Ablehnungsantrag (Bl. 131/146 d.A.).
Die Klägerin beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Das LG half der sofortigen Beschwerde nicht ab (Beschl. v. 16.2.2005). Der Senat sandte dem Sachverständigen Dr. S. am 19.4.2005 eine Zusammenstellung von ihm als klärungsbedürftig angesehener Punkte mit der Bitte um Beantwortung binnen vier Wochen zu (Bl. 149 d.A.). Eine Reaktion des Sachverständigen erfolgte nicht.
2. Die zulässige sofortige Beschwerde hat hinsichtlich des Ablehnungsantrags Erfolg, weil Umstände vorliegen, die geeignet sind, beim Beklagten Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Dies ergibt sich aus verschiedenen, unter c) und d) angeführten Tatsachen, die jede für sich betrachtet die Besorgnis der Befangenheit noch nicht rechtfertigen würden. Bei einer Gesamtschau besteht jedoch aus der Sicht einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass, an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu zweifeln. Darauf, ob der Sachverständige wirklich befangen ist, kommt es nicht an.
a) Die Rügen, die der Beklagte im Zusammenhang mit der Untersuchung der Klägerin und der Darstellung von deren Vorbringen erhebt, rechtfertigen den Anschein der Befangenheit allerdings nicht.
aa) Die unterlassene Verständigung des Beklagtenvertreters zur (zahn-)ärztlichen Untersuchung stellt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats keinen Ablehnungsgrund dar (so auch die übereinstimmende Rspr. anderer OLG, s. z.B. Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 406 Rz. 9, m.w.N.).
bb) Dass der Sachverständige bestrittene Behauptungen der Klägerin teilweise nicht unter dem Gliederungspunkt "Klagen der Patientin", sondern unter "Vorgeschichte" wiedergibt, ist unbedenklich, soweit klar zu erkennen ist, dass es sich um einseitiges Vorbringen handelt. Die Distanz des Sachverständigen zu den Schmerzbekundungen der Klägerin wird dabei verschiedentlich im Gutachten erkennbar (z.B. S. 16/17: "Die starke Beeinträchtigung des Wohlbefindens durch das zahnärztliche Behandlungsergebnis wird mit ausgesprochen hohem Nachdruck vorgetragen").
b) Inhaltliche Einwendungen gegen das Gutachten müssten durch die ergänzende Befragung des Sachverständigen geklärt werden.
c) Der Beklagte weist jedoch zu Recht darauf hin, dass der Sachverständige in mehreren Fällen streitigen Sachvortrag der...