Leitsatz (amtlich)
Dass sich ein Sachverständiger in einem Gutachten aufgrund seiner medizinischen Erfahrung zur Plausibilität einer Parteibehauptung über den Behandlungsablauf äußert, begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit.
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 11.11.2005; Aktenzeichen 9 O 21125/04) |
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des LG München I vom 11.11.2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.657,60 EUR festgesetzt.
Gründe
1. Die Klägerin, eine Betriebskrankenkasse, macht gegen die Beklagten, die betroffene Klinik, die operierenden Orthopäden und den Anästhesisten nach § 116 SGB X übergegangene Schadenersatzansprüche wegen schwerer Blutungen der bei ihr versicherten Frau K. während einer Wirbelsäulenoperation am 28.8.2002 geltend. Die Klägerin hatte deshalb Aufwendungen für eine intensivmedizinische Behandlung zu tragen. Die Klägerin wirft den Beklagten vor, die Operation nicht früher abgebrochen zu haben, wodurch man die eingetretenen Komplikationen hätte vermeiden können.
Das LG München I beauftragte den Unfallchirurgen und Orthopäden Prof. Dr. R. als Sachverständigen. Prof. Dr. R. erstattete am 21.2.2005 ein erstes Gutachten (Bl. 73/79 d.A.), in dem er Behandlungsfehler verneinte. Der Sachverständige führte aus, aus den vorhandenen Unterlagen einschließlich des Operationsberichts gehe nicht hervor, wie lange die einzelnen Operationsphasen gedauert hätten und in welcher Phase welcher Blutbedarf entstanden sei. Eine etwas detailliertere Darstellung finde sich jedoch im Schriftsatz der Anwältin des Beklagten zu 3) vom 7.1.2005. Der Sachverständige behandelte diese Stellungnahme im Rahmen seines Gutachtens.
Die Klägerin bestritt in einem Schriftsatz vom 2.6.2005 (Bl. 82/85 d.A.) den Sachvortrag des Beklagten zu 3), verlangte, dass der Sachverständige ausschließlich die Krankenakte seiner Beurteilung zugrunde lege, und stellte verschiedene Ergänzungsfragen.
In einem Beweisbeschluss vom 30.6.2005 (Bl. 90/92 d.A.) bat das LG den Sachverständigen Prof. Dr. R. darum, in seinem Ergänzungsgutachten "nur von der ärztlichen Dokumentation auszugehen, soweit die Parteien die Tatsachen nicht übereinstimmend schildern".
Am 18.7.2005 erstattete Prof. Dr. R. das Ergänzungsgutachten (Bl. 95/100 d.A.). Darin begründete er seine Berücksichtigung des Schriftsatzes vom 7.1.2005 damit, dass die darin enthaltene Schilderung inhaltlich offensichtlich von einem der beteiligten Ärzte stamme. Die Ausführungen würden durch den Operationsbericht, wenn auch etwas pauschal, bestätigt. Sie könnten daher seiner Auffassung nach mit hoher Wahrscheinlichkeit als objektiv gegeben angesehen werden. Auch das Narkoseprotokoll spreche für einen dergestaltigen Verlauf der Operation. Den Schilderungen der Klägerin und ihrer Rechtsanwälte über den Operationsverlauf fehle "naturgegeben jede Objektivität."
Mit Schriftsatz vom 26.9.2005 (Bl. 102/107 d.A.) lehnte die Klägerin innerhalb der ihr gewährten Stellungnahmefrist zum Ergänzungsgutachten den Sachverständigen Prof. Dr. R. wegen Besorgnis der Befangenheit ab, beantragte ihm die Entschädigung zu versagen und einen anderen Sachverständigen zu beauftragen. Sie begründete dies mit den Äußerungen von Prof. Dr. R. im Ergänzungsgutachten. Außerdem habe sich der Sachverständige über die Weisung des Gerichts hinweggesetzt, nur von der ärztlichen Dokumentation auszugehen und sich auch im Ergänzungsgutachten nur auf die Schriftsätze der Beklagten gestützt (zu den Einzelheiten wird auf Bl. 104/106 d.A. verwiesen).
Prof. Dr. R. nahm zum Ablehnungsantrag in einem Schreiben vom 24.10.2005 (Bl. 116/120 d.A.) Stellung. Unter anderem führte er aus:
"Bei den in der Krankenakte dokumentierten Vorgängen, zu denen ja auch die ärztliche Dokumentation gehört, handelt es sich um den Operationsbericht und das Narkoseprotokoll.
Durch die späteren Ausführungen der Operateure wird der Operationsverlauf und der Operationsbericht weiter detailliert, so dass diese Ausführungen im wesentlichen einem Operationsbericht gleichzusetzen sind.
Der Vorwurf, dass ich die Ausführungen der Operateure als "mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben" angesehen und demgegenüber festgestellt habe, dass "den Schilderungen der Klägerin und ihrer Rechtsanwälte über den Operationsverlauf naturgegeben jede Objektivität fehlt", ist mir unverständlich.
Die Operateure haben die Operation durchgeführt und erlebt, die Patientin war in dieser Zeit in Narkose, der Rechtsanwalt war nicht anwesend.
Als Chirurg und Unfallchirurg mit fast 40-jähriger Operationserfahrung steht es mir durchaus zu, anhand des Operationsberichtes über eine mögliche Objektivität der Ausführungen der Operateure zu befinden."
Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat auf das Schreiben Bezug.
Mit Beschl. v. 11.11.2005 (Bl. 121/122 d.A.) wies das LG München I den Befangenheitsantrag zurück. Zur Begründung bezog es sich auf die Stellungnahme des Sachverstä...