Leitsatz (amtlich)
1. Die Diagnose einer fortschreitenden Demenz steht der Wirksamkeit einer früher erteilten notariellen Vorsorgevollmacht nicht entgegen, solange nicht die Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen bereits zum Zeitpunkt der Beurkundung hinreichend sicher feststeht. Hat der Betroffene bewusst und in freier Willensentschließung eine Vertrauensperson bevollmächtigt, kann jedenfalls eine hierauf bezogene (partielle) Geschäftsfähigkeit selbst dann zu bejahen sein, wenn nicht auszuschließende leichtere kognitive Defizite zu Bedenken gegen die Wirksamkeit anderweitiger Willenserklärungen Anlass geben können.
2. Zweifel an der Geschäftsfähigkeit zum Zeitpunkt einer Vollmachtserteilung beeinträchtigen die Eignung der Vollmacht als Alternative zur Betreuung nur dann, wenn sie konkrete Schwierigkeiten des Bevollmächtigten im Rechtsverkehr erwarten lassen (Abgrenzung zu BayObLG FamRZ 1994, 720).
3. Ist eine später erteilte Vollmacht nicht aufzuklärenden Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit ausgesetzt, kann nicht ohne weiteres eine inhaltlich abweichende frühere, unzweifelhaft wirksame Vollmacht als zur Betreuungsvermeidung geeignet beurteilt werden. Wegen der konkreten Gefahr, dass auch der später Bevollmächtigte sich auf die vermeintlich wirksam erteilte Vertretungsmacht beruft und der Rechtsverkehr insoweit ohne eigene Beurteilungsmöglichkeit womöglich mit widersprechenden Erklärungen unterschiedlicher Bevollmächtigter konfrontiert wird, erübrigt dann die zuerst erteilte Vollmacht eine Betreuung nicht.
Normenkette
BGB § 104 Nr. 2, § §§ 164 ff., § 1896 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 05.11.2008; Aktenzeichen 13 T 3613/08 und 13 T 9409/08) |
AG Schwabach (Aktenzeichen XVII 0483/07) |
Tenor
I. Auf die Anschlussbeschwerde der Betroffenen werden der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth vom 5.11.2008 sowie die Beschlüsse des Amtgerichts Nürnberg vom 15.2.2008 und 4.4.2008 aufgehoben. Das Betreuungsverfahren wird eingestellt.
II. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2 wird zurückgewiesen.
III. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Betroffene ist Alleinerbin nach ihrem am 13.5.2006 verstorbenen Ehemann. Die Beteiligten sind deren gemeinschaftliche Kinder. Während sich die Beteiligte zu 1 ihren Pflichtteilsanspruch nach ihrem Vater bereits abgelten ließ, ist der Anspruch des Beteiligten zu 2 noch nicht erfüllt.
Die Betroffene hatte zunächst am 25.8.2006 durch notarielle Urkunde dem Beteiligten zu 2 eine umfassende Vollmacht erteilt. Am 23.11.2006 änderte sie ebenfalls in notarieller Urkunde die Vollmacht in der Weise, dass der Beteiligte zu 2 Verfügungen über Grundbesitz und die Eingehung von Verpflichtungen zur Verfügung über Grundbesitz nur gemeinsam mit der Beteiligten zu 1 vornehmen könne.
Die Betroffene hat sodann unter dem Datum des 30.11.2006 den Beteiligten eine notariell beurkundete Vorsorgevollmacht erteilt, die u.a. folgende Bestimmungen enthielt:
"Ich ... erteile hiermit
a) meinem Sohn ... und
b) meiner Tochter ... und zwar gemeinschaftlich Vollmacht zu meiner gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung in allen gesetzlich zulässigen Fällen ...
V. Für den Fall, dass trotz der vorstehenden Vorsorgevollmacht für mich die Bestellung eines Betreuers notwendig wird, beantrage ich beim zuständigen Gericht, dieses Amt einem der beiden Bevollmächtigten zu übertragen, bzw. diesen zum Betreuer zu bestellen.
VIII. Die Erklärungen in der diesamtlichen Urkunde vom 25.8.2006 samt Nachtrag hierzu vom 23.11.2006 werden voll inhaltlich widerrufen ..."
Am 30.8.2007 erteilte die Betroffene eine umfassende notarielle Vorsorgevollmacht allein zugunsten der Beteiligten zu 1. Mit gesonderter Urkunde vom selben Tag widerrief sie sämtliche zuvor erteilten Vollmachten.
Am 12.11.2007 regte der Beteiligte zu 2 beim AG an, für die Betroffene einen berufsmäßigen Betreuer zu bestellen, insbesondere für den Aufgabenkreis Vermögenssorge. Bei der Durchsetzung seines Pflichtteilsanspruchs gegen die Betroffene gebe es erhebliche Probleme; es bestehe der Verdacht, dass sie geschäftsunfähig sei. Angehörige würden wegen erheblicher finanzieller Interessen als Betreuer ausscheiden.
Die Beteiligte zu 1 verneinte in einer Stellungnahme die Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen unter Hinweis auf die Vorsorgevollmacht vom 30.8.2007.
Aufgrund eines eingeholten Sachverständigengutachtens und einer ergänzenden Stellungnahme hierzu ordnete das AG am 15.2.2008 eine Betreuung an mit dem Aufgabenkreis "Alle Angelegenheiten inklusive Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Entscheidung über den Fernmeldeverkehr" und bestellte hierfür einen berufsmäßigen Betreuer. Als spätester Überprüfungszeitpunkt wurde der 15.2.2015 festgelegt.
Hiergegen legte die Beteiligte zu 1 Beschwerde ein mit der Begründung, aufgrund der in der Vorsorgevollmacht vom 30.8.2007 enthaltenen Regelung hätte sie selbst zur Betreuerin bestellt werden müssen. Allenfalls für die Aufgaben "Pflichtteilsansprüc...