Leitsatz (amtlich)
1. Sind zum Zeitpunkt der Erteilung einer Vorsorgevollmacht für die soziale Umgebung des Vollmachtgebers einschließlich seiner Hausärztin keine geistigen Beeinträchtigungen bei ihm erkennbar, unterliegt die rückschauende Diagnose der Voraussetzungen einer Geschäftsunfähigkeit durch einen Sachverständigen, der den Betroffenen erstmals nach mehr als vier Monaten seit der Vollmachtserteilung untersucht, strengen Anforderungen (vgl. auch Senatsentscheidung vom 5.6.2009 - 33 Wx 278/09 u.a. = BtPrax 2009, 240). Eine "graduell fortschreitende demenzielle Erkrankung" zu diesem Zeitpunkt - nach Einlieferung in eine psychiatrische Klinik wegen akut aufgetretener Verwirrtheit und Orientierungsstörungen - lässt für sich genommen keinen hinreichenden Schluss auf den Zustand zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung zu.
2. Zweifel an der Geschäftsfähigkeit zum Zeitpunkt einer Vollmachtserteilung beeinträchtigen die Eignung der Vollmacht als Alternative zur Betreuung nur, wenn sie konkrete Schwierigkeiten des Bevollmächtigten im Rechtsverkehr erwarten lassen (Bestätigung der Senatsentscheidung vom 5.6.2009, a.a.O., in Abgrenzung zu BayObLG FamRZ 1994, 720).
Normenkette
BGB § 104 Nr. 2, § 1896 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 14.09.2009; Aktenzeichen 13 T 4259/09) |
AG Nürnberg (Beschluss vom 05.05.2009; Aktenzeichen XVII 2833/08) |
Tenor
I. Die Beschlüsse des LG Nürnberg-Fürth vom 14.9.2009 und des AG Nürnberg vom 5.5.2009 werden aufgehoben. Das Betreuungsverfahren wird eingestellt.
II. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betreuerin werden der Staatskasse auferlegt.
III. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Am 7.7.2008 erteilte der Betroffene seiner Nichte eine umfassende Vorsorgevollmacht nebst Betreuungsverfügung. Nachdem er am 24.11.2008 wegen akut aufgetretener Verwirrtheit und Orientierungsstörungen in die Stroke Unit einer psychiatrischen Universitätsklinik aufgenommen worden war, hat das AG am 25.11.2008 die Nichte des Betroffenen als vorläufige Betreuerin bestellt. Am 5.5.2009 wurde die Nichte als endgültige ehrenamtliche Betreuerin mit umfangreichem Aufgabenkreis bestellt.
Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde der Betreuerin hat das LG am 14.9.2009 zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich die Betreuerin mit ihrer weiteren Beschwerde, mit der sie vor allem rügt, dass wegen der ihr erteilten Vorsorgevollmacht eine Betreuung nicht erforderlich sei.
II. Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
1. Das LG hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:
Der Betroffene könne aufgrund einer psychischen Erkrankung seine Angelegenheiten nicht selbst besorgen. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S. vom 12.1.2009 bestehe beim Betroffenen eine zunehmende dementielle Entwicklung. Es liege ein mindestens mittelgradiges dementielles Bild vor, so dass der Betroffene krankheitsbedingt seine Angelegenheiten im Umfange der angeordneten Betreuung nicht mehr selbst besorgen könne. Er könne seinen Willen nicht mehr frei äußern, bestimmen oder einsichtig handeln. Die Urteilsfähigkeit des Betroffenen sei hochgradig eingeschränkt, er sei geschäftsunfähig. Nach dem Gutachten und nach Aktenlage bestehe im Umfang der angeordneten Betreuung auch Handlungsbedarf.
Die Betreuung sei erforderlich, weil erhebliche Zweifel an der vom Betroffenen am 7.7.2008 erteilten Vollmacht bestünden. Nach den Ausführungen des Sachverständigen habe sich bei der stationären Behandlung des Betroffenen das Bild einer mittelschweren Demenz an der Grenze zur schweren Demenz gezeigt. In den beiden Ergänzungsgutachten vom 22.4.2009 und vom 11.8.2009 habe der Sachverständige dargelegt, dass es aufgrund der Schwere des dementiellen Prozesses medizinisch nicht nachvollziehbar sei, dass dieser erst nach der Klinikeinweisung am 20.11.2008 begonnen habe. Die Ausführungen der Hausärztin in ihrem Attest vom 8.6.2009, dass die kognitiven Beeinträchtigungen des Betroffenen erstmalig im Rahmen eines Insultes aufgetreten seien, sei aus Sachverständigensicht unwahrscheinlich. In den Eingangsuntersuchungen der Kliniken seien keine fokalneurotischen Defizite festzustellen gewesen, die mit einem größeren ischämischen Geschehen oder einer Hirnblutung zu vereinbaren gewesen wären. Im Rahmen dementieller Prozesse bleibe die äußere Fassade des Patienten relativ lange gut erhalten. Neurokognitive Defizite, die auch die Urteilsfähigkeit einschließen, seien auch für Angehörige nicht immer sofort zu erkennen. Alltagsrelevante Handlungsabläufe die seit Jahren oder Jahrzehnten einstudiert sind, würden vom Betroffenen noch lange Zeit gut ausgeführt werden können.
Die Kammer schließe sich dem nach eigener kritischer Würdigung vollinhaltlich an. Das Attest der Hausärztin sei nicht geeignet, die Feststellungen des Sachverständigen in Frage zu stellen. Zum einen sei die Hausärztin eine praktische Ärztin und Betriebsmedizi...