Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzanspruch, KapMuG, Beschwerde, Berufung, Aussetzung, Beihilfe, Unanfechtbarkeit, Auslegung, Haftung, Feststellungsziele, Unrichtigkeit, Verletzung, Ablehnung, Verfahren, Aussetzung des Verfahrens, sofortige Beschwerde, von Amts wegen
Leitsatz (amtlich)
1. Ob die Vorlagevoraussetzungen der §§ 1 ff. KapMuG vorliegen, ist im Aussetzungsverfahren gem. § 8 KapMuG nicht zu prüfen. Die Entscheidung über die Aussetzung hängt vielmehr ausschließlich von den in § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG genannten Voraussetzungen ab (Anschluss an BGH, Beschluss vom 16. Juni 2020 - II ZB 30/19 -, Rn. 20 f.; Ablehnung von BGH, Beschluss vom 30. April 2019 - XI ZB 13/18, Rn. 14).
2. Das Musterverfahren ist hier außerdem statthaft. Festgestellt werden soll hier als Haupttat die "Unrichtigkeit der Geschäftsberichte der W. AG". Die Beklagte zu 1) als Abschlussprüferin soll dem Vorlagebeschluss zufolge zu dieser Haupttat durch ihre angeblich unrichtigen Bestätigungsvermerke (nur) Beihilfe gem. § 830 Abs. 2 BGB geleistet haben. Bei dieser Sachlage sind die Bestätigungsvermerke der Beklagten zu 1) und deren angebliche Unrichtigkeit nicht selbst unmittelbarer Gegenstand des Musterverfahrens, sondern (nur) die behauptete Unterstützungshandlung zur Haupttat der W. AG. Dagegen bestehen aus Sicht des Senats keine Bedenken.
3. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt nicht i.S.v. § 8 KapMuG von den geltend gemachten Feststellungszielen ab, wenn die Sache ohne weitere Beweiserhebung und ohne Rückgriff auf die Feststellungsziele eines Musterverfahrens entscheidungsreif ist. Dabei hat nicht etwa lediglich eine kursorische Schlüssigkeitsprüfung stattzufinden, sondern eine volle Sachprüfung nach Grund und Höhe des Anspruchs - dabei kann hier dahinstehen, ob dem Prozessgericht insoweit ein Beurteilungsspielraum zukommt (ablehnend BGH, Beschluss vom 30.04.2019 - XI ZB 13/18).
4. Wenn und soweit die Klage - ggf. nach entsprechendem Hinweis gem. § 139 ZPO - unschlüssig oder ohne ausreichende Beweisangebote ist, ist sie abzuweisen und nicht das Verfahren auszusetzen (vgl. dazu ausführlich bereits Senat, Beschluss vom 27.01.2022 - 8 W 1818/21, zur Aussetzung gem. § 149 ZPO in einem Verfahren gegen den mutmaßlichen Hauptverantwortlichen der W. AG, rechtskräftig).
5. Durch Aussetzung gem. § 8 KapMuG werden auch bisher nicht als Musterbeklagte vorgesehene Beklagte gem. § 9 Abs. 5 KapMuG zu Musterbeklagten des Musterverfahrens.
Normenkette
BGB §§ 826, 830 Abs. 2; KapMuG §§ 1, 8-9; WpHG a.F. §§ 37b, 37c
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 14.03.2022; Aktenzeichen 22 O 2497/21) |
Tenor
1. In Richtung auf den Beklagten zu 3) wird die Klagepartei des Rechtsmittels der Berufung für verlustig zu erklärt und ihr die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 3) im Berufungsverfahren auferlegt. Die Kostenentscheidung im Übrigen bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
2. In Richtung auf die Beklagte zu 1) wird das Berufungsverfahren im Hinblick auf den am 16.03.2022 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Vorlagebeschluss des Landgerichts München I - 3. Zivilkammer - vom 14.03.2022, Gz. 3 OH 2767/22 KapMuG, gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ausgesetzt.
3. In Richtung auf den Beklagten zu 2) wird das Berufungsverfahren ebenfalls im Hinblick auf den am 16.03.2022 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Vorlagebeschluss des Landgerichts München I - 3. Zivilkammer - vom 14.03.2022, Gz. 3 OH 2767/ 22 KapMuG, gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ausgesetzt. Der Beklagte zu 2) wird dadurch gem. § 9 Abs. 5 KapMuG weiterer Musterbeklagter des Musterverfahrens.
4. Die Höhe des Anspruchs, der von den Feststellungszielen des Musterverfahrens betroffen ist, beträgt 1.186,55 EUR (§ 8 Abs. 4 KapMuG).
5. Die Parteien werden gem. § 8 Abs. 3 KapMuG darüber unterrichtet,
a) dass die anteiligen Kosten des Musterverfahrens zu den Kosten des Rechtsstreits gehören, und b) dass dies nicht gilt, wenn die Klage innerhalb von einem Monat ab Zustellung dieses Aussetzungsbeschlusses zurückgenommen wird.
6. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klagepartei verlangt den Feststellungen des Landgerichts zufolge von den Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb von Aktien der W. AG. Sie trägt dazu vor, sie habe im Vertrauen auf die Richtigkeit der Testate der Beklagten zu 1) am 05.09.2018 6 Stück Aktien der W. AG zum Kurs von 196,65 EUR erworben (K 26/ K 24), die sie immer noch halte.
Die Beklagte zu 1) war seit 2010 alleinige Abschlussprüferin der W. AG. Sie hat die Jahresabschlüsse für die Jahre 2015, 2016, 2017 und 2018 ohne Einschränkungen testiert (Anlage K 17- K 21; K 32). Die Beklagten zu 2) und 3) sind Gesellschafter der Beklagten zu 1). Sie waren die sowohl mit der Jahresabschlussprüfung als auch mit der Konzernprüfung der W. AG betrauten Wirtschaftsprüfer. Der Beklagte zu 2) war der ab dem Jahresabschluss 2016 verantwortliche Prüfer, der Beklagte zu 3) ab dem Jahresabschluss 2018.
Am 31.10.2019 beauftragte die W. AG die Wir...