Entscheidungsstichwort (Thema)

Streitwert des selbstständigen Beweisverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Streitwert des selbstständigen Beweisverfahrens richtet sich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers an dessen Durchführung.

2. Grundsätzlich ist dabei auf die objektive Bewertung der bei Antragstellung mitgeteilten Tatsachen abzustellen. Nachträglich auftretende Umstände sind zu berücksichtigen, soweit sie das bereits verdeckt bestehende Interesse aufhellen.

3. Bei einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren bestimmt dessen Streitwert auch den des vorherigen Beweisverfahrens, soweit es auf dessen Ergebnis gestützt wird. Dies gilt auch dann, wenn statt der im Beweisverfahren ermittelten Mängelbeseitigungskosten im Hauptsacheverfahren der „große Schadensersatz” in Form der Rückabwicklung des bestehenden Werkvertrags verlangt wird.

 

Normenkette

GKG § 12; ZPO §§ 3, 485

 

Verfahrensgang

LG Ingolstadt (Aktenzeichen 4 OH 996/98)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers wird der Streitwertbeschluss des LG Ingolstadt vom 16.7.2001 dahingehend abgeändert, dass der Streitwert des selbstständigen Beweisverfahrens auf 392.309,94 DM festgesetzt wird.

II. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.)

 

Gründe

Die vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ausdrücklich aus eigenem Recht erhobene Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung, der das LG durch bloße Vorlage der Akten an das OLG konkludent nicht abgeholfen hat, ist nach § 567 ZPO, § 9 Abs. 2 BRAGO zulässig.

Sie ist auch in der Sache begründet und führt zur Abänderung des Streitwerts des selbstständigen Beweisverfahrens auf den Streitwert des zwischen denselben Parteien anhängig gewesenen Hauptsachestreitverfahrens 4 O 1153/00 LG Ingolstadt.

Die Höhe des Streitwerts eines selbstständigen Beweisverfahrens richtet sich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers. Dabei ist grundsätzlich auf die objektive Bewertung der vom Antragsteller bei Verfahrenseinleitung mitgeteilten Tatsachen abzustellen. Nachträglich auftretende Umstände sind jedoch insoweit zu berücksichtigen, als sie das bereits verdeckt bestehende Interesse aufhellen. Dabei ist das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers an einer sachkundigen Begutachtung nicht zwangsläufig mit der Höhe etwa erforderlicher Mängelbeseitigungskosten gleichzusetzen. Es kann vielmehr je nach beabsichtigter Vorgehensweise (z.B. Aktivprozess zur Geltendmachung von Ersatzvornahmekosten oder Passivprozess unter Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten) variieren. Auch müssen bei der Geltendmachung von Minderungen oder Schadensersatz nicht zwingend für ein und denselben Mangel gleichermaßen die Nachbesserungskosten den Wertmaßstab bilden. So sind beispielsweise auch nach Mängelbeseitigung verbleibende verkehrsmäßige Minderwerte zu berücksichtigen (vgl. OLG Hamm v. 16.12.1988 – 26 U 67/87, BauR 1989, 735). Noch deutlicher fallen die erforderlichen Mängelbeseitigungskosten und das an der Begutachtung bestehende wirtschaftliche Interesse des Antragstellers auseinander, wenn dieser, gestützt auf einen im selbstständigen Beweisverfahren festgestellten wesentlichen Mangel, die Wandlung des zugrunde liegenden Werkvertrags nach § 634 BGB oder den so genannten „großen Schadensersatz” in Form einer Rückabwicklung des Vertrages nach § 635 BGB geltend macht. Soweit dem selbstständigen Beweisverfahren ein darauf gestütztes Hauptsacheverfahren nachfolgt, ist daher im Regelfall der Hauptsachewert auch für den Streitwert des Beweisverfahrens maßgebend (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 22. Aufl., § 3 Rz. 16, „selbstständiges Beweisverfahren” m.w.N.). Dies gilt jedenfalls insoweit, als das Hauptsacheverfahren durch das selbstständige Beweisverfahren bestimmt wird.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Streitwert des selbstständigen Beweisverfahrens auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers hin auf denjenigen des Hauptsacheverfahrens 4 O 1153/00, also auf 392.309,94 DM heraufzusetzen ist. Es liegt zwar nahe, dass die erforderlichen Kosten zur Beseitigung der durch Sachverständigenbeweis im selbstständigen Beweisverfahren festgestellten Schallmängel an dem streitgegenständlichen Reihenhaus nicht höher gelegen hätten als die vom LG geschätzten 50.000 DM. Der Antragsteller hat jedoch im nachfolgenden Hauptsacheverfahren 4 O 1153/00 LG Ingolstadt nicht die Erstattung von Mängelbeseitigungskosten, sondern den so genannten „großen Schadensersatzanspruch” in Form der Rückabwicklung des mit der Antragsgegnerin bzw. Beklagten geschlossenen Vertrages geltend gemacht. Der Streitwert dieses Verfahrens wurde zu Recht auf 392.309,94 DM festgesetzt. Er setzt sich aus dem vertraglichen Kaufpreis und den entstehenden Begleitkosten der Rückabwicklung zusammen. Die Klage, die diesem inzwischen für erledigt erklärten Hauptsachestreitverfahren zu Grunde lag, stützte der Antragsteller bzw. Kläger ausschließlich auf die im selbstständigen Beweisverfahren festg...

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