Leitsatz (amtlich)
1. Selbst bei vorhandenem Kabelanschluss kann das Informationsinteresse und das Interesse an der Ausübung der Religion eines Wohnungseigentümers dazu führen, dass die übrigen Wohnungseigentümer die Anbringung einer Parabolantenne auf dem Dach dulden müssen, wenn eine geringere Beeinträchtigung deren Eigentumsrechte durch eine andere Anbringung z.B. auf dem Balkon nicht möglich ist.
2. Bei der erforderlichen Abwägung kommt neben dem Informationsinteresse auch der Freiheit der Religionsausübung und in dessen Rahmen der Ermöglichung der Teilnahme an gottesdienstlichen Handlung ein besonderer Stellenwert zu, insbesondere wenn die Teilnahme an Gottesdiensten einzelnen Bewohnern nicht möglich ist und Fernsehsender, die regelmäßig gottesdienstliche Handlungen ausstrahlen, nur über Satelliten zu empfangen sind.
3. Wird bei der Abwägung den Eigentumsrechten der anderen Eigentümer vor der Informations- und Religionsausübungsfreiheit mit der Begründung der Vorzug gegeben, dass ein "Schüsselwald" zu befürchten sei, müssen die Tatsachengerichte hierzu konkrete tatsächliche Feststellungen treffen. Bei dieser Feststellung muss die Anzahl der Wohnungen in einem Gebäude, die Struktur der Bewohner und der Umstand, dass die Wohnungseigentümer die Gestattung von dem Abschluss einer Vereinbarung abhängig machen können, nach der der Antragsteller verpflichtet wird, den Anschluss durch andere Eigentümer, die auf vom gleichen Satelliten ausgestrahlte Programme angewiesen sind, bei Bedarf zu gestatten, berücksichtigt werden.
Normenkette
GG Art. 4 Abs. 1-2, Art. 5 Abs. 1; WEG § 10 Abs. 2, § 14 Nrn. 1, 3, § 15; BGB § 242
Verfahrensgang
LG Augsburg (Beschluss vom 07.08.2007; Aktenzeichen 7 T 454//07) |
AG Augsburg (Aktenzeichen 3 URII 53/06) |
Tenor
I. Auf die sofortige weitere Beschwerde wird der Beschluss des LG Augsburg vom 7.8.2007 aufgehoben.
II. Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde an das LG Augsburg zurückverwiesen.
III. Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die türkischen Antragsteller sind Miteigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft und gehören der alevitischen Glaubensrichtung des Islam an. In der Eigentümerversammlung vom 31.3.2005 beantragten sie eine Parabolantenne anbringen zu dürfen. Nach dem Protokoll dieser Versammlung wurde kein ausdrücklicher Beschluss hierzu gefasst; vielmehr wies die Hausverwaltung mit großer Zustimmung und ohne Einwände darauf hin, dass die Möglichkeit bestehe, einen zusätzlichen Decoder über eine Kabelgesellschaft für ausländische Sender zu besorgen und bisher Satellitenanlagen von den Eigentümern kategorisch abgelehnt wurden, was auch hier zu erfolgen habe.
Das AG wies den Antrag, die Antragsgegner zu verpflichten, das Anbringen einer Satellitenempfangsanlage auf dem Balkon der Wohnung der Antragsteller, bzw. hilfsweise an einer Stelle des Gemeinschaftseigentums zu gestatten, die den ordnungsgemäßen Empfang ermögliche und das äußere Erscheinungsbild des Anwesens möglichst wenig beeinträchtige mit Beschluss vom 29.12.2006 zurück.
Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde wies das LG, nachdem sich herausgestellt hatte, dass eine Anbringung der Antenne am Balkon keinen ordnungsgemäßen Empfang gewährleiste, am 7.8.2007 zurück.
Gegen diesen am 17.8.2007 zugestellten Beschluss legten die Antragssteller am 27.8.2007 formgerecht sofortige weitere Beschwerde ein, mit der sie nur noch den Hilfsantrag weiterverfolgen.
II. Die zulässige sofortige weitere Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an die Vorinstanz.
1. Das LG hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:
Ein Anspruch auf Duldung der Parabolantenne bestehe nicht. Zwar könnten aufgrund der besonderen Interessenlage der Antragssteller als Aleviten die Miteigentümer verpflichtet sein, der Aufstellung an einem möglichst wenig oder geringfügig beeinträchtigenden Ort z.B. auf dem Balkon ihrer Wohnung zuzustimmen. Da aber aus empfangstechnischen Gründen nur eine Aufstellung auf dem Dach möglich sei, stelle dies eine Beeinträchtigung des Gesamtbildes der Anlage dar, die im Rahmen der Abwägung nach Treu und Glauben der Grundrechte der Antragsteller auf Informations- und Religionsausübungsfreiheit ggü. den Eigentumsrechten nicht zu dulden sei, zumal durch Nachfolgeeffekte zu befürchten sei, dass ein "Schüsselwald" auf dem Dach entstehe.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§ 43 Abs. 1 WEG, § 27 Abs. 2 FGG, § 546 ZPO).
a) Nicht zu beanstanden ist allerdings der Ausgangspunkt der landgerichlichen Entscheidung, dass aufgrund der besonderen Interessenlage der Antragssteller als Aleviten die Miteigentümer verpflichtet sein können, der Aufstellung an einem möglichst wenig oder geringfügig beeinträchtigenden Ort z.B. auf dem Balkon ihrer Wohnung zuzustimmen und die Gru...