Entscheidungsstichwort (Thema)
Streitwertbemessung angesichts geringer Umsatzzahlen beim Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln
Leitsatz (amtlich)
Die Behauptung eines Nahrungsergänzungsmittelherstellers, er habe mit den Produkten lediglich einen Umsatz erwirtschaftet, der deutlich unter der Streitwertangabe des klagenden Wettbewerbsverbands liege und der Wettbewerbsverstoß habe nur bedingt zu diesem Umsatz führen können, reicht für sich gesehen nicht aus, um eine Reduktion des ansonsten als nicht unrealistisch vorgetragenen Streitwerts herbeizuführen (Rn. 7)
Normenkette
ZPO § 3
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 04.08.2021; Aktenzeichen 4 HK O 6207/21) |
Tenor
Auf die Streitwertbeschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Streitwert in Abänderung von Ziffer 4 des Anerkenntnisurteils des Landgerichts München I vom 04.08.2021, Az. 4 HK O 6207/21 auf EUR 30.000,- festgesetzt.
Gründe
I. Von einem Tatbestand wird in entsprechender Anwendung der Vorschriften § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die angegriffene Streitwertfestsetzung durch das Landgericht erfolgte ermessensfehlerhaft und war, den Angaben des Klägers in der Klageschrift entsprechend, dahingehend abzuändern, dass der Streitwert auf EUR 30.000,- festzusetzen war.
1. Maßgeblich für die Bestimmung des Streitwerts in Verfahren über Ansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ist die Vorschrift des § 51 Abs. 2 GKG. Danach ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Entscheidend ist bei Unterlassungsanträgen das Interesse des Klägers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße, das maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für die Träger der maßgeblichen Interessen, bestimmt wird (vgl. BGH, GRUR 2017, 212 Rn. 8 - Finanzsanierungen mwN). Das Interesse eines - wie vorliegend - vorgehenden Verbandes ist dabei im Regelfall ebenso zu bewerten wie das eines gewichtigen Mitbewerbers (Nachweise bei Köhler/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 12 Rn. 4.8). Eine Herabsetzung kann demgegenüber erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 GKG vorliegen, wobei im Streitfall gem. § 71 Abs. 1 GKG die bis zum 01.12.2021 gültige Fassung der genannten Norm anzuwenden ist.
Nach allgemeiner Auffassung stellt die eigene Wertangabe eines Klägers zu Beginn des Verfahrens in der Regel ein gewichtiges Indiz für eine zutreffende Bewertung dar (ständige Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München, vgl. Senat WRP 2008, 972 [976] - Jackpot-Werbung; vgl. auch BGH GRUR 1986, 93 [94] - Berufungssumme; GRUR 1977, 748 [749] - Kaffeeverlosung II; GRUR 1968, 106 [107] - Ratio-Markt), weil in diesem Verfahrensstadium, in dem die spätere Kostentragungspflicht noch offen ist, erfahrungsgemäß Angaben von größerer Objektivität erwartet werden dürfen als zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kostentragungspflicht bereits feststeht oder zumindest mit erheblicher Sicherheit vorauszusehen ist (vgl. BGH GRUR 2012, 1288 - Vorausbezahlte Telefongespräche II Tz. 4 m. w. N.). Ergibt sich allerdings aus den Gesamtumständen, dass die Streitwertangabe das tatsächliche Interesse des Klägers offensichtlich nicht zutreffend widerspiegelt, kommt ihr keine Bedeutung zu (vgl. Senat, a. a. O., - JackpotWerbung S. 976; OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. November 2011 - 6 W 65/10, juris, dort Tz. 2).
2. Nach diesen Grundsätzen ist die Streitwertfestsetzung durch das Landgericht zu korrigieren, die in der Nichtabhilfeentscheidung angegebene Begründung ändert daran nichts.
a) Die Streitwertangabe des Klägers von EUR 30.000,- in der Klageschrift ist nicht offensichtlich unzutreffend. Vielmehr bewegt sie sich jedenfalls angesichts der Geltendmachung mehrerer lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsansprüche wegen - nach Auffassung des Klägers - unzulässiger gesundheits- sowie krankheitsbezogener Angaben und wegen fehlender Verkehrsbezeichnung ohne Weiteres im Rahmen des Angemessenen.
b) Soweit die Beklagte anlässlich ihres Anerkenntnisses darum gebeten hat, den Streitwert angesichts dessen, dass die Beklagte mit dem streitbefangenen Nahrungsergänzungsmittel im Jahr 2020 Umsätze unter EUR 15.000,- erzielt habe und sich die Beanstandungen des Klägers "nicht in vollem Umfang umsatzrelevant ausgewirkt haben dürften", genügt dies nicht, um eine Herabsetzung des Streitwerts zu rechtfertigen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, welche Bedeutung diese - behaupteten - Umstände für das maßgebliche Interesse des Klägers haben könnten. Ein geringer Angriffsfaktor - wie ihn das Landgericht zugrunde gelegt hat - lässt sich daraus nicht ableiten. Die seitens der Beklagten ohne jegliche Bezugsgröße behauptete Umsatzzahl ist per se ohne jede Aussagekraft, und die Tatsache, ob sie Vorteile aufgrund der behaupteten Wettbewerbsverstöße erzielt hat, sagt ebenfalls n...