Leitsatz (amtlich)
Die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit ist in einer "Dieselsache" (SE nach § 826 BGB wegen der Abgassoftware des Motors EA 189) gegen die VW AG begründet, wenn dessen Ehegatte geschäftsführender Gesellschafter eines mittelständischen Automobilzulieferers ist, der die VW AG mit Bauteilen für Dieselmotoren beliefert.
Verfahrensgang
LG München II (Aktenzeichen 11 O 3124/20) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts München II vom 07.12.2020, Az. 11 O 3124/20, mitsamt dem Nichtabhilfebeschluss vom 04.01.2021 aufgehoben.
2. Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen die Richterin am Landgericht H. wird für begründet erklärt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt mit seiner zum Landgericht München II erhobenen Klage Schadensersatz aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung wegen des Erwerbes eines PKW Skoda Superb 2.0 TDI. Er macht geltend, das Fahrzeug mit dem Motor EA 288 sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasregulierung ausgestattet.
Mit Verfügung vom 05.11.2020 zeigte die zuständige Berichterstatterin, Richterin am Landgericht H. an, daß sie möglicherweise von den Parteien wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden könnte. Ihr Ehemann sei Gesellschafter der H. V. mbH, der Komplementärin der H. GmbH & Co. KG und dort in der Geschäftsleitung tätig. Der überwiegende Anteil des Umsatzes der H. GmbH & Co. KG, die als Automobilzulieferer tätig ist, werde mit der Fertigung von Komponenten für Dieselmotoren erzielt, die weltweit in Fahrzeuge auch der Beklagten eingebaut würden.
Mit Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 25.11.2020 lehnte der Kläger Richterin am Landgericht Holzhauer wegen der Besorgnis der Befangenheit ab.
Die 11. Zivilkammer des Landgerichts München II wies mit Beschluß vom 07.12.2020 den Antrag als unbegründet zurück.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner sofortigen Beschwerde vom 22.12.2020.
Das Landgericht half der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor.
II. Die gemäß §§ 42, 46 Absatz 2, 567 Absatz 1 ZPO statthafte und zulässige sofortige Beschwerde erweist sich als begründet.
1. Völlig zutreffend hat das Landgericht die Umstände herausgearbeitet, unter denen ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf diese Ausführungen verwiesen.
2. Allerdings liegt in der Tätigkeit des Ehemannes der Richterin durchaus ein Umstand vor, der einer objektiven und vernünftigen Partei Anlaß zu berechtigten Zweifeln gibt.
Der Senat hat keinen Zweifel, daß die Richterin nach ihrer Berufung in das Richteramt unabhängig von Parteiinteressen allein nach Recht und Gesetz auch in Fällen wie dem streitgegenständlichen urteilt.
Ausschlaggebend ist aber die Sicht der Parteien. Für die Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit eines Richters kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 108, 122 = NJW 2003, 3404). So kann zB ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn sein Ehegatte als Rechtsanwalt in der Kanzlei tätig ist, die den Gegner vor diesem Richter vertritt (BGH, NJW 2012, 1890 Rn. 9). Denn es genügt, daß Umstände vorliegen, die geeignet sind, der Partei Anlaß zu begründeten Zweifeln zu geben, da es bei den Vorschriften der Befangenheit von Richtern darum geht, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (BGH, NJW 2012, 1890 Rn. 10). Schon die besondere berufliche Nähe des Ehemannes der Richterin zu der Beklagten gibt der Partei begründeten Anlaß zur Sorge, daß es dadurch zu einer unzulässigen Einflussnahme auf die Richterin kommen könnte. Für den Senat entscheidend ist hierbei der Umstand, daß der Ehemann der Richterin nicht nur Gesellschafter der H.GmbH & Co. KG ist, sondern auch eine geschäftsleitende Funktion innehat. Als solcher ist er notwendigerweise auch in grundsätzliche wie konkrete Fragen der Zusammenarbeit mit der Beklagten eingebunden, die möglicherweise Gegenstände des Verfahrens betreffen.
Auch wenn grundsätzlich davon auszugehen ist, daß Richter über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden, ist es einer Partei nicht zuzumuten, darauf zu vertrauen, daß eine unzulässige Einflussnahme durch den Gegner unterbleiben wird, und den Richter erst dann abzulehnen, wenn dies doch geschieht und ihr das bekannt wird (BGH, NJW 2012, 1890 Rn. 11).
III. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt, da die Kosten der begründeten sofortigen Beschwerde Teil der Kosten des zu Grunde liegenden Verfahrens darstellen.
Fundstellen
Haufe-Index 14294414 |
MDR 2021, 320 |