Entscheidungsstichwort (Thema)
Gefahrerhebliche Umstände, Versicherungsnehmer, Allgemeine Versicherungsbedingungen, Vorläufige Deckung, selbstgenutztes Wohneigentum, Sekundäre Darlegungslast, Beitragsberechnung, Berufungsrücknahme, Weitere Sachaufklärung, Vollstreckungsbescheid, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Versicherungsschein, Rücknahme der Berufung, Betriebsausgaben, Versicherungsvertrag, Gelegenheit zur Stellungnahme, Berufungsstreitwert, Gerichtsgebühren, Versicherer, Prämienberechnung
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 18.04.2023; Aktenzeichen 23 O 12576/22) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 18.04.2023, Az. 23 O 12576/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
Die zulässige Berufung des Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Mit Recht hat das Landgericht den Vollstreckungsbescheid weitgehend aufrechterhalten. Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, zu einer abweichenden Beurteilung zu gelangen.
1. Der klagende Kraftfahrthaftpflichtversicherer kann von dem Beklagten für die vorläufige Deckung die Zahlung einer Prämie in der zuerkannten Höhe verlangen. Gemäß § 49 Abs. 2 VVG, B.2.7 der Versicherungsbedingungen (Anlage K 4) und § 50 VVG hat die Klägerin Anspruch auf einen der Laufzeit der vorläufigen Deckung entsprechenden Teil der Prämie. Die Höhe der Prämie ergibt sich aus der Berechnung der Klägerin auf der Grundlage von Anhang 2 Nr. 1.1 der Versicherungsbedingungen (Anlagen K 9, B 6).
a) Allerdings kann die Klägerin sich im Streitfall nicht auf die Bestimmung in Anhang 2 Nr. 1.3 der Versicherungsbedingungen stützen. Diese Bestimmung lautet: "Fehlen bei Abschluss des Vertrags Angaben, wird der Beitrag berechnet, als hätten Sie die für die Beitragsberechnung ungünstigsten Angaben gemacht." Die Bestimmung findet hier keine Anwendung.
aa) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Werden Versicherungsverträge typischerweise mit und für einen bestimmten Personenkreis geschlossen, so sind die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises maßgebend (BGH, Urteil vom 25. Mai 2011 - IV ZR 117/09, VersR 2011, 918 Rn. 22). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10. April 2019 - IV ZR 59/18, NJW 2019, 2172 Rn. 17 mwN).
bb) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird das Erfordernis, dass bei Abschluss des Vertrags Angaben - für die Beitragsberechnung - fehlen, auf diejenigen Angaben beziehen, die in Anhang 2 Nr. 1.1 Abs. 2 Satz 1 der Versicherungsbedingungen genannt sind, also Angaben zu gefahrerheblichen Umständen, die der Versicherer im Antrag vom Versicherungsnehmer verlangt. "Fehlen" können bei Vertragsschluss nur Angaben, die im Antrag verlangt aber nicht gemacht wurden (vgl. AG Potsdam, Urteil vom 16. Mai 2019 - 24 C 514/18, juris Rn. 18).
Kommt - wie hier - lediglich ein Vertrag über die vorläufige Deckung zustande, ohne dass dem ein Antrag des Versicherungsnehmers zugrunde liegt, in dem der Versicherer von diesem Angaben zu gefahrerheblichen Umständen verlangt hat, können solche Angaben bei Vertragsschluss nicht fehlen und die Fiktion der ungünstigsten Angaben gemäß Nr. 1.3 greift nicht ein (vgl. LG Düsseldorf, zfs 2017, 637). Dies entspricht der Interessenlage, denn bei Anwendung der Fiktion entstünde, sobald die Versicherungsbestätigung zur Fahrzeuganmeldung verwendet wird, ein Anspruch auf die Prämie stets in der dem Versicherungsnehmer ungünstigsten Höhe; nachträgliche günstigere Angaben würden hieran nichts ändern.
b) Damit richtet sich gemäß der Ausgangsregelung in Anhang 2 Nr. 1.1 der Versicherungsbedingungen die geschuldete Prämie nach den gefahrerheblichen Umständen, die der Versicherer nach finanz- und versicherungsmathematischen Methoden kalkuliert un...