Leitsatz (amtlich)
Ein berechtigtes Interesse an Einsicht in das Grundbuch kann auch dann vorliegen, wenn sich ein Antragsteller - etwa wegen Beeinträchtigungen durch Bauarbeiten an einer Grenzmauer - Aufschluss über die künftigen, durch Eigentums-(Auflassungs-)Vormerkung gesicherten Nutzungsberechtigten des Nachbargrundstücks verschaffen will.
Normenkette
BGB § 1004 Abs. 1; GBO § 12; GBV § 46
Verfahrensgang
AG Deggendorf (Beschluss vom 27.04.2016) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des AG Deggendorf - Grundbuchamt - vom 27.4.2016 aufgehoben.
II. Das AG Deggendorf - Grundbuchamt - wird angewiesen, den Beteiligten Grundbucheinsicht in die Zweite Abteilung der Wohnungsgrundbücher von Deggendorf Bl. XXX und Bl. XXX, in Form der Erteilung von Abschriften zu den dort eingetragenen Auflassungsvormerkungen, jeweils lfde. Nr. 2, zu gewähren.
Gründe
I. Die Antragsteller, ein Ehepaar, sind Eigentümer eines bebauten Grundstücks. Sie begehrten unter dem 1.4.2016 Einsichtnahme in das Grundbuch eines Nachbargrundstücks mit der Begründung, es sei durch dortige Bauarbeiten zu einer unzulässigen Aufschüttung im Grenzbereich gekommen. Dadurch werde ihre Grenzmauer erheblich beeinträchtigt. Es sei beabsichtigt, Ansprüche wegen Eigentumsbeeinträchtigung geltend zu machen. Es werde vermutet, dass das Nachbargrundstück in Wohnungseigentum aufgeteilt worden sei. Das Gebäude sei noch nicht vollständig errichtet, die zukünftigen Eigentümer seien möglicherweise noch nicht im Grundbuch als solche eingetragen. Ihnen gehe es darum zu wissen, wer Käufer von Eigentumswohnungen seien, da diese bereits sachenrechtlich eine Anwartschaft erworben hätten. Jedenfalls müssten ihnen auch die bereits eingetragenen Vormerkungsberechtigten mitgeteilt werden, um gegen sie als Zustandsstörer vorgehen zu können.
Das Grundbuchamt - Urkundsbeamtin - hat zunächst am 11.4.2016 einen so genannten ALB-Ausdruck (= Flurstücks- und Eigentümerauskunft) erteilt. Weitergehende Auszüge und Auskünfte betreffend etwaige Eigentumsvormerkungsberechtigte hat es verweigert. Als Handlungsstörer sei der Eigentümer anzusehen, das bleibe auch nach einer Veräußerung so.
Das als Erinnerung behandelte Rechtsmittel der Beteiligten hat die Rechtspflegerin des Grundbuchamts mit Beschluss vom 27.4.2016 zurückgewiesen. Ansprechpartner für die Geltendmachung von Ansprüchen auf Beseitigung der Störung sei der Eigentümer des betreffenden Grundstücks. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit hier ein Vormerkungsberechtigter Zustandsstörer sei, indem er Einfluss auf die Bauarbeiten nehmen könnte, um die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks zu beseitigen. Ein berechtigtes Interesse an der gewünschten Auskunft sei daher nicht nachvollziehbar.
Hiergegen richtet sich das als Erinnerung bezeichnete Rechtsmittel der Beteiligten vom 28.4.2016. Sie begründen es damit, dass Ansprüche gegen die (Eigentums-)Anwartschaftsberechtigten geltend gemacht werden sollen. Ob dies materiell-rechtlich begründet sei, habe nicht der Grundbuchrechtspfleger zu prüfen. Der aus dem Grundbuch ersichtliche Anwartschaftsinhaber könne sehr wohl Einfluss auf die Baufirma bei mangelhafter Errichtung einer Grenzeinrichtung nehmen.
Das Grundbuchamt hat nicht abgeholfen. Ein berechtigtes Interesse an der begehrten Einsicht sei nicht zu erkennen.
II. Gegen die Entscheidung der Rechtspflegerin als für die Führung des Grundbuchs zuständiger Person, die die teilweise Versagung von Grundbucheinsicht durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bestätigt hat (§§ 12, 12c Abs. 1 Nr. 1 GBO), ist nach § 12c Abs. 4 Satz 2 GBO i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG, § 71 Abs. 1 GBO die Grundbuchbeschwerde statthaft. Als solche ist das als Erinnerung bezeichnete und unmittelbar an das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht gerichtete Rechtsmittel auszulegen, das auch im Übrigen zulässig ist (§ 73 Abs. 1 und 2 GBO, § 10 Abs. 2 Satz 1, § 11 FamFG).
1. Die Beschwerde erweist sich als begründet.
a) Gemäß § 12 Abs. 1 und Abs. 3 GBO, § 1 WGV i.V.m. § 46 Abs. 1 GBV ist die Einsicht des (Wohnungs-)Grundbuchs und der Grundakten jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Ausreichend, aber auch erforderlich ist dafür, dass der Antragsteller ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes - also nicht unbedingt rechtliches, sondern auch tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches (OLG Zweibrücken NJW 1989, 531; Grziwotz MDR 2013, 433) - Interesse verfolgt (Schmid DWE 2014, 145). Das setzt voraus, dass bei verständiger Würdigung des Einzelfalls und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge mit der Einsichtnahme Erkenntnisse gesammelt werden, die für den Antragsteller aus sachlichen Gründen für sein künftiges Handeln erheblich erscheinen. Das Interesse des Eigentümers oder von sonstigen Grundstücksberechtigten am Schutz persönlicher und wirtschaftlicher Geheimnisse ist dabei in jedem Einzelfall gegen das Interesse des Antragstellers an der Kenntnisgewinnung abzuwägen (allg. Ansicht; vgl. BayObLG Rpfleger 1998, 338; OLG Oldenburg Rp...