Leitsatz (amtlich)
Zur (hier: fehlenden) Bindung eines die sachliche Zuständigkeit betreffenden Verweisungsbeschlusses im Hinblick auf die für die Bewertung eines Beseitigungs-/Vornahmeverlangens herangezogenen Maßstäbe.
Normenkette
GVG § 23 Nr. 1; ZPO §§ 3, 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 21.07.2016; Aktenzeichen 10 O 11663/16) |
AG München (Aktenzeichen 171 C 7182/16) |
Tenor
I. Der Beschluss des AG München vom 8.7.2016 (sachliche Unzuständigerklärung und Verweisung) wird aufgehoben. Aufgehoben wird ebenfalls der Beschluss des LG München I vom 21.7.2016 in Ziffer I.
II. Die Akten werden an das AG (München) zurückgegeben.
Gründe
I. Die Klage zum AG (Az. 171 C 7182/16) betrifft einen Nachbarstreit und hat im Hauptantrag die Beseitigung einer ca. 20 m hohen Fichte, ferner die Kürzung eines 10 m hohen Mirabellenbaums auf 3 m und das Abschneiden herüberhängender Zweige, beide Bäume im Bereich der gemeinsamen Grundstücksgrenze befindlich, zum Gegenstand. Den Streitwert haben die Kläger mit 5.000 EUR als "Regelstreitwert" angesetzt.
Das AG war der Meinung, sachlich nicht zuständig zu sein. Es handele sich um zwei Ansprüche, die gesondert zu bewerten und wertmäßig zu addieren seien. Für den deutlich größeren als von den Antragstellern beschriebenen Fichtenbaum werde der Regelstreitwert von 5.000 EUR für angemessen erachtet. Dabei sehe das Gericht auch einen "rein ökonomischen" Wert des Baumes, obwohl es einen richtigen Markt für diese Art Bäume wohl nicht gebe. Der Wert sei aber als wirtschaftliches Erhaltungsinteresse des Beklagten an dem Baum angemessen. Der Anspruch auf Rückschnitt des Mirabellenbaums sei jedenfalls mit 1.000 EUR zu bemessen.
Mit dieser Begründung hat das AG am 8.7.2016 den Streitwert vorläufig auf 6.000 EUR festgesetzt sowie mit weiterem Beschluss vom selben Tag sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger an das LG (München I) verwiesen.
Das LG München I hat sich mit Beschluss vom 21.7.2016 (Az. 10 O 11663/16) für sachlich unzuständig erklärt, die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und die Akten zur Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem Oberlandesgericht vorgelegt.
Das LG erachtet den Zuständigkeitsstreitwert als vom AG evident falsch erfasst. Für die geltend gemachte Vornahme einer Handlung sei grundsätzlich auf das Interesse des Klägers unter Berücksichtigung des Kostenaufwands abzustellen. Auf das Erhaltungsinteresse des Beklagten komme es nicht an. Bereits der klägerseits bezeichnete Streitwert erscheine überhöht. Nadelbaumfällungen inklusive aller Arbeiten und Abfuhr bewegten sich nach Internet-Recherchen in Preisspannen zwischen ca. 35 und 45 EUR/lfm. Der Gesamtstreitwert übersteige somit in keinem Fall 5.000 EUR.
II. Auf die zulässige Vorlage nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist der Verweisungsbeschluss des AG vom 8.7.2016 aufzuheben. Mit der gegebenen Begründung lässt sich die sachliche Zuständigkeit des LG nicht rechtfertigen. Weil diese aber nach aktueller Aktenlage auch nicht auszuschließen ist, hebt der Senat die Unzuständigerklärung des LG ebenfalls auf. Die Akten werden an das erstbefasste Gericht zurückgeleitet, das sich nach Anhörung der Parteien erneut mit der Bewertung befassen muss.
1. Das AG München hat sich mit dem auch für dieses grundsätzlich bindenden Beschluss vom 28.6.2016 (vgl. § 281 Abs. 2 ZPO; Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 281 Rn. 16) für (sachlich) unzuständig erklärt, während das angegangene LG mit dem den Parteien bekannt gegebenen Beschluss vom 21.7.2016 sich seinerseits für sachlich unzuständig erklärt und die Verfahrensübernahme abgelehnt hat. Dies genügt nach ständiger Rechtsprechung den Anforderungen, die an das Tatbestandsmerkmal "rechtskräftig" i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind (etwa BGH NJW-RR 2013, 764 bei Rn. 5; BGHZ 102, 338/340; Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 24/25).
2. Der nach § 281 Abs. ZPO ergangene Beschluss des AG bindet das LG ausnahmsweise nicht.
a) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von
Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet, was im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO fortwirkt und demnach vom Senat zu beachten ist (BGH NJW-RR 1993, 1091; 1994, 126/127; Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 28). Um langwierige Zuständigkeitsstreitigkeiten unter Gerichten auszuschließen, wird es hingenommen, dass auch unrichtige oder verfahrensfehlerhaft ergangene Beschlüsse grundsätzlich binden und demnach selbst ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss regelmäßig der Nachprüfung entzogen ist (siehe Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 28 m.w.N.). Nur ausnahmsweise tritt die Bindungswirkung dann nicht ein, wenn die Verweisung jeder Rechtsgrundlage entbehrt und daher willkürlich ist (BGHZ 102, 338/341 und st. Rechtspr.; siehe Zöller/Vollkommer a.a.O. und Zöller/Greger § 281 Rn. 17 und 17a). Willkür liegt vor, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt, wenn er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruh...