Leitsatz (amtlich)

Zur - im Einzelfall bestehender - Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses, der die fortdauernde Zuständigkeit des Prozessgerichts infolge Rechtshängigkeit nicht beachtet.

 

Normenkette

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6; Zpo § 261 Abs. 3 Nr. 2; ZPO § 281 Abs. 1, 2 S. 4, § 696 Abs. 1 S. 4

 

Verfahrensgang

AG München (Aktenzeichen 222 C 15295/16)

LG München I (Aktenzeichen 20 O 12994/16 (20 O 9682/16))

 

Tenor

Sachlich zuständig ist das AG (München).

 

Gründe

I. Das AG Hünfeld erließ am 20.1.2015 auf Antrag der in Wiesbaden ansässigen Klägerin Mahnbescheid gegen den in München wohnhaften Beklagten über eine Hauptforderung aus Bürgschaftsrückgriff oder Garantie über 10.000 EUR Hauptsache nebst Zinsen und Kosten. Gegen den am 22.1.2015 zugestellten Mahnbescheid richtete sich ein am 3.2.2015 eingegangener Widerspruch in Höhe eines Teilbetrags der Hauptforderung von 7.000 EUR nebst anteiligen Zinsen und Kosten mit der Begründung, dass 3.000 EUR am 2.2.(2015) bezahlt worden seien. Hinsichtlich des nicht widersprochenen Teils des Anspruchs erging auf der Grundlage des Mahnbescheids am 23.3.3015 Vollstreckungsbescheid. Im Übrigen gab das Mahngericht die Akten an das bezeichnete LG München I ab (Az. 20 O 9682/16). Die Akten gingen dort am 9.6.2016 ein, die erste Verfügung stammt vom 13.6.2016.

Mit der Anspruchsbegründung vom 22.6.2016 begehrte die Klägerin vom Beklagten noch die Verurteilung zu einem Hauptsachebetrag von 4.424,88 EUR nebst Zinsen und Nebenforderungen aus Bürgenregress, trug dazu vor, der Beklagte haben nach einer Ratenvereinbarung aus 2014 mit Eingängen am 4.2.2015 und 1.4.2016 zweimal 3.000 EUR auf die Schuld geleistet, und beantragte zugleich die Verweisung der Sache an das AG München. Nach Anhörung der Gegenseite mit dem Hinweis vom 28.6.2016, dem Antrag sei nach derzeitiger Aktenlage stattzugeben, der Streitwert liege bei Eingang der Akten (Anhängigkeit) unter 5.000 EUR, entsprach das LG dem Antrag mit einem auf § 281 Abs. 1 ZPO gestützten Beschluss vom 21.7.2016.

Das AG hat seinerseits mit bekannt gegebener Entscheidung vom 27.7.2016 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Das LG habe § 261 Abs. 3 Satz 2 ZPO missachtet. Die Sache sei mit Eingang der Akten - spätestens am 13.6.2016 - beim LG anhängig und rechtshängig gewesen. Der Streitwert habe zu diesem Zeitpunkt mangels Abgabe einer entsprechenden prozessualen Erklärung noch über 7.000 EUR gelegen. Dass tatsächlich in der Zwischenzeit eine (Teil-)Zahlung stattgefunden habe, sei irrelevant. Die spätere Erklärung der Klägerseite habe auf die sachliche Zuständigkeit keinen Einfluss mehr. Außerdem sei nicht klar, ob nun insoweit für erledigt erklärt oder zurückgenommen werden solle.

Das LG hat daraufhin die Akten zur Zuständigkeitsbestimmung dem Oberlandesgericht vorgelegt.

II. Auf die Vorlage des LG München I nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 37 ZPO ist die sachliche Zuständigkeit des AG auszusprechen. Das AG ist an den Beschluss vom 21.7.2016 gebunden. Dieser ist nicht willkürlich. Das AG darf deshalb nicht die Übernahme des Verfahrens verweigern.

1. Mit den jeweils formlos mitgeteilten (§ 329 Abs. 2 ZPO) Beschlüssen vom 21.7.2016 und vom 27.7.2016 liegt eine tatsächliche - verbindliche - Kompetenzleugnung zweier als (sachlich) zuständig in Betracht kommender Gerichte vor. Dies eröffnet den Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (z.B. BGH NJW 2013, 764 Rn. 2 und 5; Zöller/Vollkommer ZPO 31. Aufl. § 36 Rn. 24/25 m.w.N.).

2. Gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind Verweisungsbeschlüsse im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung von verfahrensverzögernden Zuständigkeitsstreitigkeiten unanfechtbar. Demnach entziehen sich auch ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (st. Rspr.; BGHZ 102, 338/340; BGH NJW 2002, 3634/3635; Zöller/Greger § 281 Rn. 16).

Die Bindungswirkung entfällt indessen, wenn der Beschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann (BGH NJW 2002, 3634/3635; Zöller/Greger § 281 Rn. 17 m.w.N.). Dies ist der Fall, wenn er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt, wenn er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder wenn er sonst bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich oder sonst offensichtlich unhaltbar erscheint und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (etwa BGH NJW-RR 2011, 1364 Rn. 9; NJW-RR 2013, 764 Rn. 7). Hierfür genügt nicht schon, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (BGH NJW-RR 2011, 1364 Rn. 9). Die Nichtbeachtung der Rechtshängigkeit (perpetuatio fori; § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) kann bewirken, das die Bindung entfällt (OLG Frankfurt NJW-RR 1996, 1403; Zöller/Vollkommer § 281 Rn. 17; Fischer MDR 2000, 301/302).

3. Nach diesen Maßstäben ist das AG in sachlicher Hinsicht (§ 23 Nr. 1 GVG) an die landgerichtliche Entscheidung gebunden (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO).

a) Das LG ist gemäß seinem r...

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