Leitsatz (amtlich)

In Ausnahmefällen kann das Zusammentreffen mehrerer besonderer Umstände das Vertrauen des Angeklagten darin, dass das Gericht seinem sehr kurzfristigen Verlegungsantrag stattgeben wird, rechtfertigen.

 

Tatbestand

Mit Strafbefehl vom 8.6.2004 verhängte das Amtsgericht gegen den Angeklagten wegen Sachbeschädigung, Bedrohung und Beleidigung eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 EUR. Den dagegen eingelegten Einspruch verwarf das Amtsgericht am 19.7.2004 gemäß § 412 StPO ohne Verhandlung zur Sache. Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht am 6.12.2004 als unbegründet verworfen.

Gegen dieses Urteil wandte sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Revision hatte mit der Rüge, das Berufungsgericht habe die Verwerfung des Einspruchs durch das Amtsgericht nicht bestätigen dürfen, Erfolg (§ 337 StPO).

 

Entscheidungsgründe

1.

Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht ist diese Verfahrensrüge formgerecht erhoben (§ 344 Abs.2 Satz 2 StPO). An die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge gegen ein Verwerfungsurteil sind nämlich grundsätzlich keine strengen Anforderungen zu stellen. Wird in der Revisionsbegründung unter Angabe bestimmter Tatsachen ausgeführt, das Gericht habe das Fernbleiben nicht als unentschuldigt ansehen dürfen, bezieht bereits dieser Vortrag den Inhalt des angefochtenen Urteils unmittelbar in die Argumentation mit ein (OLG Brandenburg NStZ 1996, 249/250; OLG Düsseldorf VRS 78, 129; OLG Köln VRS 75, 113/115; Meyer-Goßner StPO 48.Aufl. § 329 Rn.48). Enthält das Urteil Feststellungen zu einem möglichen Entschuldigungsvorbringen, reicht dieses verbunden mit der Beanstandung im Übrigen im Rahmen der Revision aus. Zur formgerechten Begründung einer Verfahrensrüge gegen ein Verwerfungsurteil bzw. ein diese Verwerfung bestätigendes Berufungsurteil reicht es deshalb aus, wenn die Revision unter Angabe bestimmter Tatsachen ausführt, das Gericht habe den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt (vgl. OLG Köln aaO).

Zwar rügt die Revision in der Begründung vom 13.1.2005 einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und der Verletzung der §§ 137, 213 StPO. In dem Vortrag zu dieser Rüge, der vom Verteidiger gestellte Terminsverlegungsantrag sei vom Amtsgericht zu Unrecht abgelehnt worden (Revisionsbegründung S.2), ist inzident auch die Rüge enthalten, der Begriff der genügenden Entschuldigung sei verkannt worden. Danach genügt die Revisionsbegründung in Verbindung mit den Urteilsgründen des Berufungsurteils den Formerfordernissen des § 344 Abs.2 Satz 2 StPO.

2.

Die Rüge ist auch begründet, weil sowohl das Amtsgericht wie auch das Landgericht aufgrund des von diesem zu berücksichtigenden weiteren Tatsachenvorbringens (Meyer- Goßner § 412 Rn.10) den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt haben.

a)

Die Strafkammer hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

"Am 8.6.2004 erließ das Amtsgericht gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen Sachbeschädigung, Bedrohung und Beleidigung. Die Zustellung des Strafbefehls an den Angeklagten unter seiner Wohnanschrift in den Niederlanden per Einschreiben mit Rückschein wurde am 8.6.2004 verfügt und erledigt. Ein Zustellungsnachweis befindet sich nicht im Akt.

Am 21.6.2004 ging per Telefax eine "Beschwerde" des Angeklagten gegen den Strafbefehl vom 8.6.2004 beim Amtsgericht Laufen ein, wobei der Angeklagte formulierte:

,Ich will Ihnen wissen lassen, dass ich Beschwer mach gegen die Strafmaße, weil ich die Strafe zu hoch find.'

Das Amtsgericht bestimmte am 24.6.2004 Hauptverhandlungstermin auf den 19.7.2004, 11.00 Uhr. Das persönliche Erscheinen des Angeklagten wurde nicht angeordnet. Die Ladung wurde dem Angeklagten am 29.6.2004 per Einschreiben mit Rückschein zugestellt.

Die Ladung ging dem Angeklagten ausweislich des Rückscheins unter seiner Wohnanschrift in den Niederlanden am Dienstag, 29.6.2004, zu. Das Schriftstück wurde von einer dritten Person entgegen genommen. Am Freitag, 16.7.2004, ging um 18.23 Uhr per Fax beim Amtsgericht die Vertretungsanzeige des Verteidigers des Angeklagten ein mit dem Antrag, den Hauptverhandlungstermin vom Montag, 19.7.2004, zu verlegen. Zugleich beantragte der Verteidiger Akteneinsicht.

Das Telefax wurde dem Amtsrichter am Vormittag des 19.7.2004 vorgelegt. Er beschloss sogleich, dass der Hauptverhandlungstermin vom 19.7.2004 aufrecht erhalten bleibt und begründete diese Entscheidung handschriftlich damit, dass eine Verlegung des Termins nicht veranlasst ist, zumal dem Angeklagten bereits am 29.6.2004 die Ladung zugegangen sei. Akteneinsicht könne von dem Verteidiger kurz vor dem Termin erfolgen. Der Akt umfasse wenige Seiten und der Einspruch sei auf das Strafmaß beschränkt.

Diese Entscheidung ging dem Verteidiger des Angeklagten per Fax am 19.7.2004 um 8.19 Uhr zu.

Bei Sitzungsbeginn am 19.7.2004 um 11.15 Uhr erschienen weder der Angeklagte, noch sein Verteidiger. Um 11.30 Uhr verkündete der Amtsri...

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