Leitsatz (amtlich)
Der Inhalt des Wahlplakats der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) für die Wahl zum Bayerischen Landtag am 28. September 2008, auf dem unter der Überschrift "Guten Heimflug"!" ausländische Mitbürger auf einem "fliegenden Teppich" abgebildet waren, ist nicht als Volksverhetzung strafbar.
Normenkette
StGB § 130 Abs. 2 Nr. 1 b
Tenor
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 15. September 2009 aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen.
II.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen.
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht den Angeklagten der Volksverhetzung schuldig gesprochen und hierfür eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen verhängt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er einen Freispruch erstrebt.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
I.
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte ist Vorsitzender des Kreisverbands für den Bereich der Region 10 der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und dort für die Wahlwerbung verantwortlich. Am 16. und 17. August 2008 wurden in I. etwa 60 Werbeplakate der NPD für die Wahl des Bayerischen Landtags an Straßenlaternen befestigt. Sie waren für vor- beikommende Autofahrer gut erkennbar. Etwa ein Drittel der Plakate zeigte auf rotem Grund drei Personen, die auf einem "fliegenden Teppich" sitzen. Dabei handelt es sich um ein türkisch oder kurdisch aussehendes Paar, der Mann mit langem Oberlippenbart und turbanähnlicher Kopfbedeckung, die Frau mit orientalisch gebundenem Kopftuch und einem langen, "sackähnlich geschnittenen" Kleid sowie um einen "Schwarzen". Auf dem Teppich liegen drei Säcke, die möglicherweise mit Gepäck gefüllt sind. Die türkisch oder kurdisch aussehenden Personen haben lange, gebogene Nasen, die "eher Vogelschnäbeln als Nasen ähneln"; der Oberlippenbart des Mannes ist ebenfalls vergrößert dargestellt; er reicht bis auf Kinnhöhe. Der "Schwarze" hat "überzeichnete wulstige" Lippen, krauses Haar und abstehende Ohren. Alle drei schauen "mit weit geöffneten Augen und sowohl ängstlichem als auch dummen Gesichtsausdruck" nach vorne. Über der Darstellung steht in großer Schrift: "Guten Heimflug!", darunter das Kürzel "NPD" und die Worte "Die Nationalen" sowie ein Wahlkreuzchen und die Internetadresse der NPD.
II.
Das Landgericht hat den Tatbestand des § 130 Abs. 2 Nr. 1 b StGB in der Variante des böswilligen Verächtlichmachens als erfüllt angesehen. Der Angeklagte habe die Menschenwürde anderer dadurch angegriffen, dass er den in Deutschland lebenden Menschen mit türkischer oder afrikanischer Herkunft das Recht abgesprochen habe, in der Mitte der Gesellschaft zu leben und sie als minderwertig charakterisiert. Der objektive Sinn des Plakats bestehe zwar vordergründig in dem Wunsch, die dargestellten Personen mögen gut nach Hause kommen. Da es sich bei den dargestellten Personen aber ersichtlich nicht um Deutsche handele, enthalte das Wahlplakat in einer zweiten Ebene die Forderung und das politische Ziel der NPD, fremdländische Personen (Orientalen, Andersfarbige) sollten das Land verlassen. Diese Forderung, verbunden mit der karikaturhaft gezeichneten Darstellung der drei Personen als dumm und rückständig, bringe zum Ausdruck, dass Mitbürger, die anderen Kulturkreisen angehörten bzw. eine andere Hautfarbe hätten, minderwertig und unerwünscht seien und ihnen das Recht abgesprochen werde, in der Mitte der Gesellschaft zu leben. Die Darstellung gewisser körperlicher Merkmale wie der langen, unförmigen Nasen, der "Wulstlippen" und der abstehenden Ohren wecke zudem Erinnerungen an vergleichbare Darstellungen jüdischer Mitbürger im Dritten Reich, womit vermeintlich schlechte Eigenschaften der Dargestellten assoziiert und sie ihrer Würde entkleidet werden sollten. Mit den Hakennasen solle an vermeintliche Eigenschaften des "typischen" Orientalen erinnert werden. Insgesamt würden die dargestellten Personen stellvertretend für alle Angehörigen der durch sie repräsentierten Völker der Lächerlichkeit preisgegeben. Ihnen werde ihre Würde genommen und ihr Daseinsrecht in der Gesellschaft bestritten.
III.
Die Revision des Angeklagten ist begründet, denn der Inhalt der Wahlplakate erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung nicht. Die Wahlplakate enthalten keinen Angriff auf die Menschenwürde der in Deutschland lebenden, in den Plakaten überzeichnet dargestellten Bevölkerungsgruppen.
1.
Nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 b StGB macht sich strafbar, wer die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung oder eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.
a)
Ein Angriff gegen die Menschenwürde anderer setzt voraus, dass sich die feindselige Handlung nicht nur...