Entscheidungsstichwort (Thema)
Selbständiges Handelsvertreterverhältnis - Bejahung einer Arbeitnehmereigenschaft
Normenkette
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. A, § 5 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 665, 675; GKG § 48 Abs. 1; GVG § 17a; HGB § 84 f., §§ 92, 92b; VVG § 59; ZPO § 563 Abs. 2, § 572
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 27.09.2019; Aktenzeichen 24 O 5910/19) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin werden der Beschluss des Landgerichts München I vom 27.09.2019 in Ziffern II. und III. sowie der Beschluss vom 25.11.2019, Az. 24 O 5910/19, aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Landgericht München I zurückverwiesen.
2. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.850,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin, eine Versicherungsgesellschaft begehrt vom Beklagten die Rückzahlung von Provisionsvorschüssen. Die Parteien streiten darüber, ob für die Klage der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten oder zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben ist.
Die Parteien schlossen am 01.08.2015 einen "Vertrag für den nebenberuflichen selbständigen Außendienst im Sinne der §§ 84 ff., 92 HGB" (Anl. K 1). Der Vertrag lautete auszugsweise wie folgt:
"§ 1 Rechtliche Stellung
1. Der Vertragspartner ist selbständiger Versicherungsvertreter im Nebenberuf gemäß § 59 VVG, §§ 84, 92b HGB. Über Zeit, Ort und Art der Durchführung seiner Tätigkeit kann er im Wesentlichen frei bestimmen.
(...)
6. Der Vertragspartner wird während der Dauer des Vertragsverhältnisses ohne Genehmigung der W. für kein anderes in Konkurrenz zur W. und/oder den Gesellschaften stehendes Unternehmen tätig (...).
Andere Tätigkeiten dürfen jedoch ausgeübt werden, soweit der Vertragspartner den Verpflichtungen aus diesem Vertrag nachkommen kann.
Der Vertragspartner führt ausschließlich die mit der W. abgestimmte Geschäftsbezeichnung. Veränderungen sind im Vorfeld mit der W. abzustimmen (...).
7. Der Vertragspartner hat keinen Anspruch auf alleinige Bearbeitung und Betreuung eines bestimmten Gebietes. Der W. bleibt es vorbehalten, im Tätigkeitsgebiet des Vertragspartner [sic] direkt oder durch andere Personen (Versicherungs-)Verträge abzuschließen, ohne dass diese für den Vertragspartner vergütungspflichtig werden.
(...)
§ 9 Sonstige Vereinbarungen (...)
7. Weitere Tätigkeiten (z.B. Vermittlung von Investmentfonds, Darlehen, Grundstücken) unterliegen einer gesonderten Erlaubnispflicht.
(...)
11. Wesentliche Bestandteile dieses Vertrages sind:
Allgemeine Bestimmungen (...)"
Die "Allgemeinen Bestimmungen" iSd. § 9 Nr. 11 des Vertrages lauten auszugsweise:
"I. Aufnahme von Erfassungsbögen bzw. (Versicherungs-)Anträgen
1. Es besteht die Wahlmöglichkeit zwischen Antragsmodell und Angebots- (Invitatio-)modell. Die Festlegung, welches Modell für welche Sparte angeboten wird, obliegt grundsätzlich der W. und kann von dieser verändert werden.
2. Die Vertragspartnerin [sic] hat bei der Aufnahme von Erfassungsbögen bzw. (Versicherungs-)Anträgen die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit der Antragsteller im Rahmen der zu Gebote stehenden Möglichkeiten zu prüfen.
3. Über die Annahme und Ablehnung von Erfassungsbögen bzw. (Versicherungs-)Anträgen entscheiden die W. und die Vetragsgesellschaften nach Prüfung des objektiven und subjektiven Risikos. Die Vertragspartnerin hat keinen Anspruch auf Annahme eines von ihr eingereichten Erfassungsbogens/Antrags.
(...)
II. Wettbewerb, Werbung (...)
3. Der Inhalt von Anzeigen, Bekanntmachungen, Drucksachen, Internetauftritten und dergleichen, in denen die Interessen der W. und der Gesellschaften berührt werden, ist vor der Veröffentlichung mit der W. abzustimmen.
(...)
IV. Beschäftigung von Mitarbeitern (Untervertreter, Angestellte etc.)
1. Hinsichtlich der Beschäftigung von Mitarbeitern hat die Vertragspartnerin die aufsichtsbehördlichen Richtlinien zu beachten.
2. Die Vertragspartnerin ist dafür verantwortlich, dass sich ihre Mitarbeiter an die zwischen ihr und der W. vereinbarten Bestimmungen halten. Darüber hinaus haftet die Vertragspartnerin für alle Schäden, die durch die Tätigkeit ihrer Mitarbeiter entstehen.
3. Verträge, die die Vertragspartnerin mit Mitarbeitern schließt sind ausschließlich von ihr selbst zu erfüllen. Vertragsbeziehungen zwischen den Mitarbeitern und der W. und deren Gesellschaften entstehen nicht.
(...)"
Die Klägerin gab dem Beklagten auf, "eine Beratungsdokumentation im Zuge der Antragstellung von Versicherungsverträgen umzusetzen".
Das Vertragsverhältnis endete zum 28.02.2018.
Im Zeitraum vom 01.09.2017 bis 28.02.2018 bezog der Beklagte aufgrund des Vertragsverhältnisses von der Klägerin insgesamt 6.027,00 EUR.
Die Klägerin trägt vor, dass der Beklagte kein Einfirmenvertreter gewesen. Ihm sei es nämlich nicht untersagt gewesen, für andere Firmen tätig zu werden, soweit sie nicht in Konkurrenz zur Klägerin gestanden hätten. Der Beklagte habe auch seine Arbeitszeit selbständig gestalten und frei bestimmen können. Dem Beklagten von der Klägerin gemachten Vorgaben seien Ausflu...