Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses bei bewusster Verfahrensentledigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses kann entfallen, wenn sich ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht gleichwohl über seine Zuständigkeit hinwegsetzt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist und weitere Anhaltspunkte vorliegen, die erkennen lassen, dass der Richter sich bewusst des Verfahrens entledigen wollte.

2. Solche Anhaltspunkte können vorliegen, wenn dem verweisenden Gericht am Wohnsitz des Käufers in einer Klage gegen den Hersteller in vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Verfahren bereits in einer früheren Bestimmungsentscheidung eine vertiefte Prüfung der Ermittlung der Belegenheit des Vermögens nahegelegt wurde und es wiederum, ohne darauf einzugehen, mit derselben Begründung verweist.

 

Normenkette

ZPO §§ 32, 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281

 

Tenor

Örtlich zuständig ist das Landgericht München II.

 

Gründe

I. Mit seiner zum Landgericht München II (Az. zunächst: 2 O 5565/18) erhobenen Klage vom 21.12.2018 begehrt der im Bezirk dieses Landgerichts wohnhafte Kläger von der im Bezirk des Landgerichts Braunschweig ansässigen Beklagten u.a. Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückgabe eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Diesel-Fahrzeugs. Das Fahrzeug hatte er im Dezember 2011 bei einem Autohändler im Bezirk des Landgerichts München I erworben. In der, der Klage als Anlage beigefügten, verbindlichen Bestellung vom 27.12.2011 ist bei Zahlungsbedingungen angekreuzt "Barzahlung".

Der Kläger führt aus, die Beklagte habe durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs unter Verschweigen der gesetzwidrigen Softwareprogrammierung eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB begangen. Der Kläger hätte das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben, wenn er gewusst hätte, dass dieses nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspricht. Die Beklagte habe auch mit Schädigungsabsicht gehandelt. Bei einer Aktiengesellschaft müsse der Vorsatz gemäß § 31 BGB beim Vorstand, einem Mitglied des Vorstands oder einem anderen verfassungsmäßig berufenen Vertreter vorliegen. Insoweit sei die Lehre vom Organisationsmangel anwendbar, wonach die juristische Person verpflichtet sei, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabegebiete ein verfassungsmäßiger Vertreter zuständig sei, der die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen habe. Entspreche die Organisation dem nicht, sei die juristische Person so zu behandeln, als wäre der tatsächlich eingesetzt Verrichtungsgehilfe ein verfassungsmäßiger Vertreter. Der Gesetzgeber verpflichte den Vorstand dafür Sorge zu tragen, dass er in wichtige Entscheidungen eingebunden ist. Tue dies der Vorstand nicht, so sei er so zu behandeln, als sei er eingebunden gewesen. Die Entscheidung die Öffentlichkeit über die Einhaltung von Abgasgrenzwerten zu täuschen sei eine solche Entscheidung. Des weiteren hafte die Beklagte §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.

Mit Verfügung vom 28.1.2019 hat das Landgericht München II die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens angeordnet und darauf hingewiesen, dass gegen seine örtliche Zuständigkeit Bedenken bestünden; dies hat es nochmals mit Verfügung vom 16.4.2019 den Parteien mitgeteilt.

Mit Schriftsatz vom 22.5.2019 beantragte der Kläger, mit dem Hinweis, dass er weiterhin von der Zuständigkeit des Landgerichts München II ausgehe, Verweisung an das Landgericht München I. Die Beklagte erklärte sich mit Schriftsatz vom 14.6.2019 mit einer Verweisung an das Landgericht München I einverstanden.

Mit Beschluss vom 2.7.2019 hat sich das Landgericht München II für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht München I verwiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, das Landgericht München II sei nicht zuständig, da der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO nicht gegeben sei. Der Tatort einer unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO liege überall, wo auch nur eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale verwirklicht worden sei. Beim Betrugsvorwurf liege folglich ein Begehungsort jedenfalls auch da, wo die Täuschungshandlung einen Irrtum erregt und/oder die - schädigende - Vermögensverfügung ausgelöst habe. Nach der Darstellung in der Klage sei dies in München geschehen. Aus der als Anlage vorgelegten verbindlichen Bestellung gehe hervor, dass der Vertrag in München geschlossen wurde, die Zahlung des Kaufpreises in München erfolgte, ebenso die Übergabe des Fahrzeugs. Damit habe sich also eine etwaige Täuschung, ein etwaiger Irrtum, eine etwaige Vermögensverfügung und ein etwaiger Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB in München ereignet. Die Unterzeichnung des Kaufvertrages stelle eine Vermögensverfügung dar. Vermögensverfügung sei jedes rechtliche oder tatsächliche Handeln, dulden oder Unterlassen, das unmittelbar zu einer Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinn...

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